Zeugenschaft
Zeugenschaft
Die Zeugen der Vernichtung
»SHOAH hatte nicht zum Ziel, über Dinge zu informieren, die sich ebenso in Geschichtsbüchern nachschlagen lassen … Im Zentrum stehen die realen Orte von Heute und die Gesichter, die Körper der Zeugen. Es gibt keinen Kommentar, keine Off-Stimme. Es ist wirklich die Rehabilitierung der Zeugenschaft.«
Opfer
Aaron, Armando
Biren, Paula
Bomba, Abraham
Deutschkron, Inge
Dugin, Itzhak
Elias, Ruth
Glazar, Richard
Mordo, Moshe
Müller, Filip
Podchlebnik, Michał
Rotem, Simha
Schneider, Gertrude
Srebnik, Simon
Vrba, Rudolf
Zaidl, Motke
Januar 1944 die Massengräber in Ponar auszuheben und alle Spuren des Massenmordes zu beseitigen. Im April 1944 gelang ihm mit Dugin die Flucht.
Zuckerman, Yitzhak
»SHOAH ist ein Film über den Tod, nicht über das Überleben. Es gibt darin keinen einzigen Überlebenden, es gibt allenfalls Wiedergänger, die fast schon im Jenseits über dem Boden des Krematoriums schwebten und zurückgekommen sind. Diese Menschen sagen niemals ›ich‹, sie erzählen nicht ihre eigene Geschichte. Sie sagen ›wir‹, weil sie für die Toten mitsprechen.«
Weitere Zeugen
»Der Film setzt sich nicht aus Erinnerungen zusammen. Erinnerungen schrecken mich ab; sie sind schwach. Der Film hebt jegliche Distanz zwischen Vergangenheit und Gegenwart auf; ich habe diese Geschichte in der Gegenwart wieder gelebt. Erinnerungen sieht man tagtäglich im Fernsehen: Krawattenträger hinter ihrem Schreibtisch, die irgendetwas erzählen. Nichts ist langweiliger als das. Durch die Inszenierung jedoch werden sie zu Darstellern.«
Borowi, Czeslaw
Falborski, Bronislaw
Herr Filipowicz
Gawkowski, Henrik
Frau Pietyra
Piwonski, Jan
Hilberg, Raul
Herr Kantarowski
Karski, Jan
Spieß, Alfred
»Die Konstruktion war auch diktiert von Fragen der Moral. Ich hatte nicht das Recht, die Begegnung der Darsteller zu provozieren. Ich konnte unmöglich die Nazis mit den Juden konfrontieren. Das sind keine alten Kombattanten, die sich 40 Jahre danach mit einem kräftigen Händedruck vor der Fernsehkamera wiederbegegnen. Darum taucht der erste Nazi erst nach fast zwei Stunden auf. In diesem Film begegnet keiner dem anderen.«
Täter
»Die, die wirklich mit der Vernichtung zu tun hatten, die sprechen nicht. Die, die etwas zu sagen haben, tun es nicht. Das ist das allgemeine Problem des Schweigens, das Problem Deutschlands. Wie stellt sich Deutschland zu dieser Vergangenheit? Und das ist nicht das Problem der ›Schuldfrage‹, sondern viel mehr das einer historischen Verantwortung, einer Verantwortung Deutschlands der eigenen Geschichte gegenüber.«
Grassler, Dr. jur. Franz
Michelsohn, Martha
Oberhauser, Josef (»Sepp«) Kaspar
Schalling, Franz
Stier, Walter
Suchomel, Franz
Impressum
Redaktion Valeska Bertoncini
Design Christin Albert
absolut Medien, Am Hasenbergl 12, 83413 Fridolfing
info@absolutmedien.de
www.absolutmedien.de
Die Zeugen der Vernichtung
»SHOAH hatte nicht zum Ziel, über Dinge zu informieren,
die sich ebenso in Geschichtsbüchern nachschlagen lassen …
Im Zentrum stehen die realen Orte von Heute und die Gesichter,
die Körper der Zeugen. Es gibt keinen Kommentar, keine Off-Stimme.
Es ist wirklich die Rehabilitierung der Zeugenschaft.«
Zeugen
Opfer
Aaron, Armando
Biren, Paula
Bomba, Abraham
(1913–2000)
»Es geht um die Vergegenwärtigung der Vergangenheit in der Gegenwart – SHOAH ist eine Inkarnation. … Es wurde viel Mühe darauf verwandt, die Aussagen in Szene zu setzen, die Sprecher überhaupt in die Lage zu versetzen, zu sprechen. … Der Friseur hätte ohne die Inszenierung in einem Friseurladen weder sprechen, noch weinen können. / Ich wusste, dass dieser besondere Moment – das Haareschneiden in der Gaskammer – für mich extrem wichtig war. Daher habe ich eigens nach diesem Mann gesucht. Er war der einzige Zeuge. Und deshalb mietete ich auch den Friseursalon. Ich habe versucht, eine Umgebung zu schaffen, in der etwas geschehen könnte. Ich war mir nicht sicher. Sie müssen mich verstehen, ich wusste nicht, was in der Szene passieren würde. Aber ich wusste, was ich von ihm wollte, was er zu sagen hatte. … Ich glaube, er hätte nicht zugestimmt, die Szene mit Frauen zu drehen, und ich glaube, ich selbst auch nicht. Das wäre unerträglich und obszön gewesen und die Übertragung hätte nicht funktioniert. … Der Film ist ganz und gar nicht nicht abbildlich. … Er braucht eine Distanz.« Claude Lanzmann
Deutschkron, Inge
Deutsche Jüdin. 1922 in Finsterwalde geboren, überlebte den Krieg in Verstecken in Berlin, nachdem ihrer Mutter und ihr die Flucht aus Deutschland nicht gelungen war. Nach dem Krieg weltweit als Journalistin und Autorin tätig, ab 1966 israelische Staatsbürgerschaft.
〉 Inge Deutschkron: Ich trug den gelben Stern. München 1975
Dugin, Itzhak
Lettischer Jude aus Vilnius (Wilna). Überlebender des Ghettos Wilna. Mit (⟶) Motke Zaidl als »Arbeitsjude« bei den Massengräbern im Wald von Ponar eingesetzt. Als im September 1943 das Wilnaer Ghetto »liquidiert« wurde, erschoss oder deportierte man die noch lebenden Einwohner. Dugin blieb mit einigen Tausenden arbeitsfähigen Gefangenen, um ab Januar 1944 die Massengräber in Ponar auszuheben und alle Spuren des Massenmordes zu beseitigen.
Elias, Ruth
(1922–2008)
Tschechische Jüdin aus Mährisch-Ostrau. Überlebende von Theresienstadt, Überlebende von Auschwitz-Birkenau. Kam im April 1942 ins Ghetto Theresienstadt, von wo sie im Dezember 1943 deportiert wurde. Bei der Ankunft im Familienlager in Birkenau war sie im zweiten Monat schwanger. Nach der Geburt tötete sie ihr Kind, um es dem Zugriff von Lagerarzt Mengele zu entziehen. Zur Zwangsarbeit nach Leipzig verschickt, dort späte Befreiung als einzige Überlebende ihrer Familie. 1949 ging sie nach Israel.
〉 Ruth Elias: Die Hoffnung erhielt mich am Leben. München 1995, zuerst 1988
Glazar, Richard
(1920–1997)
Tschechischer Jude, Überlebender von Treblinka, wohin er im Herbst 1942 über Theresienstadt deportiert worden war. Mit seinem Freund Karel Unger als »Arbeitsjude« in der Sortierbaracke, später auch im »Kommando Tarnung« eingesetzt. Den beiden gelang nach dem Aufstand vom 2. August 1943 die Flucht. Sie schlugen sich durch Polen nach Deutschland durch und überlebten die letzten zwei Kriegsjahre in der Mannheimer Heinrich Lanz AG mit falschen Papieren. Nach dem Krieg Studium in Prag, Paris und London, Diplom als Wirtschaftsingenieur; floh nach dem Zusammenbruch des Prager Frühlings in die Schweiz. Zeuge in den Düsseldorfer Treblinka-Prozessen. Glazar nahm sich nach dem Tod seiner Frau am 20. Dezember 1997 in Prag das Leben.
〉 Richard Glazar: Die Falle mit dem grünen Zaun. Frankfurt am Main 1992
»Wir drehten in Treblinka alle Jahreszeiten, die vier Jahreszeiten des Todes (wie Glazar sagt, gab es in Treblinka auch das, was die Häftlinge die Flaute nannten, wenn eine Zeit lang keine Konvois eintrafen), und ich wiederholte diesen Vorwärtszoom 20mal, so sehr wollte ich den Blick derer, die in den Tod gingen, in mich aufnehmen.« Claude Lanzmann
Mordo, Moshe
Griechischer Jude von der Insel Korfu. Überlebender von Auschwitz-Birkenau. Seine gesamte Familie wurde in Birkenau ermordet.
»Die Juden aus Korfu haben eine spezielle Funktion in SHOAH. Für mich sind sie der Inbegriff der Unschuld.« Claude Lanzmann
Müller, Filip
(1922–2013)
〉 Filip Müller: Sonderbehandlung. Drei Jahre in den Krematorien und Gaskammern von Auschwitz. München 1979 (Die französische Ausgabe erschien mit einem Vorwort von Claude Lanzmann in Paris 1980. Dt. wieder abgedruckt in: Lanzmann 2015, S. 474–484)
»Es gab außergewöhnliche Szenen, die sozusagen den Kern bildeten, um den herum ich dann den Film aufgebaut habe, z. B. als Filip Müller das Massaker im Familienlager schildert, zusammenbricht und weint. Das ist eine ganz wesentliche Geschichte, die für mich eine Reihe von grundlegenden Dingen verkörpert: Wissen-Nichtwissen, Täuschung, Gewalt, Widerstand. / Das Interview gestaltete sich sehr schwierig; er wollte anfangs nicht darüber reden.Ich habe drei Tage mit ihm gedreht, obwohl es klar war, dass das Gespräch so nicht zu gebrauchen war. Aber ich habe seine Worte, seine Stimme über Landschaften von heute gelegt, unaufhörlich vom on ins off wechselnd. Die Schwierigkeit dabei ist, den inneren Rhythmus der Stimme zu bewahren. Der Wechsel vom on ins off ist ein wesentliches Moment in dem Film. Die Stimme beginnt durch die Landschaft zu leben, beide bestärken einander, die Landschaft verleiht dem Wort eine ganz andere Dimension, und das Wort wiederum belebt die Landschaft. Bei Filip Müller habe ich nicht inszeniert, das war unmöglich: wir haben ihn auf dem Sofa Platz nehmen lassen und gedreht. Inszeniert haben wir erst bei der Montage.« Claude Lanzmann
Podchlebnik, Michał
(auch Mordechai) (1907–1985)
Polnischer Jude, Einwohner von Bugaj (Dorf nördlich von Koło und Chełmno); Überlebender der ersten Vernichtungsphase (Dezember 1941–März 1943) des Lagers Chełmno (Kulmhof). Nach der Deportation seiner Familie wurde er um Neujahr 1942 mit 29 anderen Gefangenen für das »Waldkommando« ausgewählt, das die Massengräber für die Leichen aus den Gaswagen auszuheben hat. Podchlebnik gelang später die Flucht; er überlebte den Krieg und emigrierte nach Israel. 1961 Zeuge beim Eichmann-Prozess.
»Alles ist in seinem Gesicht zu lesen, in seinem wundervollen Gesicht, erfüllt von Lächeln und Tränen, dieses Gesicht ist der eigentliche Ort der Shoah.« Claude Lanzmann
Rotem, Simha
genannt ›Kazik‹
Polnischer Jude und Widerstandskämpfer, Überlebender des Aufstands im Warschauer Ghetto, Mitglied der Jüdischen Kampforganisation (Żydowska Organizacja Bojowa, ZOB), für die er wegen seines ›arischen‹ Aussehens ab Ende 1942 als Kurier eingesetzt wurde. Er war gerade volljährig, als sich die Aufständischen im April 1943 gegen die Nazis erhoben. Wanderte 1946 nach Palästina aus.
〉 Simha Rotem: Kazik – Erinnerungen eines Ghettokämpfers. Berlin 1996
Schneider, Gertrude
(geb. Hirschhorn) mit ihrer Mutter Charlotte Hirschhorn (geb. LeWinter)
Österreichische Jüdinnen aus Wien. Überlebende des Ghettos Riga, der KZs Kaiserwald (bei Riga) und Stutthof (bei Danzig). Anfang Februar 1942 wurde Gertrude (Jg. 1928) mit ihrer jüngeren Schwester Rita und ihren Eltern ins Ghetto nach Riga deportiert. Noch vor der Auflösung des Ghettos im November 1943 folgte eine Odyssee durch verschiedene Lager; die Familie wurde getrennt, der Vater starb in Buchenwald. 1947 emigrierte sie mit Mutter und Schwester in die USA, wo sie Mathematik, später Geschichte studierte. Dissertation 1979: Journey Into Terror. Story of the Riga Ghetto. Weitere Publikationen in englischer Sprache, u.a. über Riga und das Schicksal der österreichischen Juden.
〉 Auf Deutsch erschienen: Gertrude Schneider: Reise in den Tod. Deutsche Juden in Riga 1941–1944. Berlin 2006
Srebnik, Simon
(auch Shimon Srebrnik) (1930–2006)
»Der singende Junge« · Polnischer Jude aus Lódź. Überlebender der zweiten Vernichtungsphase von Chełmno (Juni 1944–Januar 1945), wohin er mit 13 Jahren deportiert wurde. Seinen Vater hatte die SS zuvor im Ghetto Lódź ermordet – vor seinen Augen. Seine Mutter starb in einem der Gaswagen von Kulmhof. Die SS machte den Jungen zum »Arbeitsjuden« und ließ ihn zur Belustigung singen. In der Nacht zum 18. Januar 1945, zwei Tage vor Eintreffen der sowjetischen Truppen, sollten die letzten »Arbeitsjuden« durch Genickschuss getötet werden. Unter ihnen auch Srebnik. Die Kugel traf kein lebenswichtiges Organ, er entkam, wurde behandelt und reiste einige Monate später nach Tel Aviv aus. 1961 Zeuge beim Eichmann-Prozess in Jerusalem.
»Als ich Srebnik das erste Mal traf, war sein Bericht so ungewöhnlich wirr, dass ich nichts verstand. Er hatte so viel Grauenhaftes erlebt, er war völlig am Ende. / Bei unserem dritten Treffen sang er mir ein Lied vor. / Ein polnisches Lied mit dem Refrain ›Ein kleines weißes Haus bleibt in meiner Erinnerung. Von diesem kleinen weißen Haus träum ich jede Nacht‹. / Als ich es hörte, wusste ich, wie ich den Film beginnen würde. …« Claude Lanzmann
Vrba, Rudolf
eigentlich Walter Rosenberg (1924–2006)
Slowakischer Jude, Überlebender von Auschwitz und Birkenau. Am 14. Juni 1942 nach Majdanek deportiert, am 30. Juni bereits weiter zur ›Feldarbeit‹ ins Stammlager Auschwitz I: Es galt die Leichen von über 100.000 Kriegsgefangenen auszugraben und zu verbrennen. Noch im Sommer Wechsel des Arbeitskommandos: Vom 18. August 1942 bis 7. Juni 1943 Dienst im Effektenlager ›Kanada‹ an der Selektionsrampe zwischen Auschwitz I und II (Birkenau), anschließend Blockschreiber in Birkenau, Kontakte zur Widerstandsbewegung. Nach enttäuschten Hoffnungen auf einen möglichen Aufstand Flucht mit seinem Mithäftling Alfred Wetzler am 7. April 1944. Die beiden erreichten die Slowakei und sprachen beim Judenrat in Žilina vor: Ihre Ausführungen ergaben einen detaillierten Bericht von über 30 Seiten über die Vernichtungsmaschinerie des Lagers, der schließlich über verschiedene Kanäle bis in den Westen zu den Alliierten gelangte. Nach Veröffentlichung mehrten sich die Stimmen, die eine Bombardierung der Gaskammern sowie der Bahnstrecken nach Auschwitz-Birkenau forderten. Es kam nie dazu. Die Flüchtlinge traten bis Kriegsende den Partisanen bei. Nach dem Krieg nahm Rosenberg offiziell seinen Decknamen Vrba an, lebte in Prag und Israel. War 1961 einer der Kronzeugen im Eichmann-Prozess in Jerusalem und sagte 1964 beim Frankfurter Auschwitz-Prozess aus. 1967 emigrierte er nach Vancouver, Kanada, wo er Professor für Pharmakologie wurde.
〉 Rudolf Vrba: Ich kann nicht vergeben. München 1964, neu aufgelegt unter dem Titel: Als Kanada in Auschwitz lag. München 1999 / »Vrba-Wetzler-Bericht« mit ergänzenden Fußnoten: Henryk Źwiebocki (Hg.): London wurde informiert … Oświecim 1997
〉 Nachruf von Claude Lanzmann: La voix de Rudolf Vrba à jamais dans «Shoah». Libération, 05.05.2006. Daraus:
»Er faszinierte: Unter seiner etwas mephistophelischen Ausstrahlung und der sanften slowakischen Melodie seines Englisch verbarg sich ein stählerner Charakter, mutig, kühn, widerständig, von unendlicher Reinheit.« Claude Lanzmann
Zaidl, Motke
(Mit Tochter Hanna)
Lettischer Jude aus Švenčionys (84 km von Wilna). Überlebender des Ghettos Wilna. Mit (⟶) Itzhak Dugin als »Arbeitsjude« bei den Massengräbern im Wald von Ponar eingesetzt. Als im September 1943 das Wilnaer Ghetto »liquidiert« wurde, erschoss oder deportierte man die noch lebenden Einwohner. Zaidl blieb mit einigen Tausenden arbeitsfähigen Gefangenen, um ab
Januar 1944 die Massengräber in Ponar auszuheben und alle Spuren des Massenmordes zu beseitigen. Im April 1944 gelang ihm mit Dugin die Flucht.
Zuckerman, Yitzhak
genannt ›Antek‹ (1915–1981)
Lettischer Jude aus Vilnius (Wilna), jüdischer Wiederstandskämpfer, stellvertretender Kommandant der Jüdischen Kampforganisation (Żydowska Organizacja Bojowa, ZOB), die den Aufstand im Warschauer Ghetto plante und ausführte. Übernahm nach dem Tod des Kommandanten Mordechai Anielewicz am 8. Mai 1943 das Kommando der ZOB. Im Jahre 1944, nach der Niederschlagung des Aufstandes, kämpften Antek und seine Frau Zvia Lubetkin Seite an Seite mit dem polnischen Widerstand gegen die Deutschen. Nach dem Krieg gingen sie nach Israel und gründeten mit anderen Überlebenden 1949 das Kibbuz und das Museum Lohamei Haghetaot (Kibbuz und Museum der Ghettokämpfer). 1961 als Zeuge beim Eichmann-Prozess.
〉 Webauftritt des Museums: http://gfh.org.il
〉 Yitzhak Zuckerman: A surplus of Memory – chronicle of the Warsaw ghetto uprising. Berkeley [u. a.] 1993
»SHOAH ist ein Film über den Tod, nicht über das Überleben.
Es gibt darin keinen einzigen Überlebenden, es gibt allenfalls Wiedergänger,
die fast schon im Jenseits über dem Boden des Krematoriums schwebten und zurückgekommen sind.
Diese Menschen sagen niemals ›ich‹, sie erzählen nicht ihre eigene Geschichte.
Sie sagen ›wir‹, weil sie für die Toten mitsprechen.«
Weitere Zeugen
»Der Film setzt sich nicht aus Erinnerungen zusammen.
Erinnerungen schrecken mich ab; sie sind schwach.
Der Film hebt jegliche Distanz zwischen Vergangenheit und Gegenwart auf;
ich habe diese Geschichte in der Gegenwart wieder gelebt.
Erinnerungen sieht man tagtäglich im Fernsehen:
Krawattenträger hinter ihrem Schreibtisch, die irgendetwas erzählen.
Nichts ist langweiliger als das.
Durch die Inszenierung jedoch werden sie zu Darstellern.«
Borowi, Czeslaw
»Wie z. B. in der Szene, in der ich die Bauern von Treblinka befrage; ich frage den Dicken, ob er sich an den ersten Transport von Warschauer Juden am 22. Juli 1942 erinnere. Er erwidert, er erinnere sich sehr gut daran, vergisst dann sofort, dass vom ersten Transport die Rede war und ist plötzlich mitten in der Routine der Alltäglichkeit der Vernichtung und Transporte, die er ständig ankommen sah.« Claude Lanzmann
Falborski, Bronislaw
Herr Filipowicz
Gawkowski, Henrik
»Der polnische Eisenbahner ist ein Mann, den ich sehr liebe … ein ungewöhnlicher Mensch. Ich habe ihn nicht aufgefordert, diese grausame Geste zu machen – er tat es von sich aus. Bei den Dreharbeiten kletterten wir auf die Lokomotive. Er stand völlig versteinert vor Schmerz in seiner Lokomotive, nicht nur, weil er getrunken hatte – er trank ziemlich viel –, sondern weil er diesen tiefen aufrichtigen Schmerz empfand. / Er nahm es auf sich, die Szene erneut zu durchleben. Wir fahren in diese Station ein. Er sieht nach hinten. Mit diesem verdrehten Körper, dem verdrehten, runzligen Gesicht, und man sieht ihm deutlich die ungeheure Anstrengung an, sich zu erinnern. Da fällt es ihm ein, und plötzlich ›erfindet‹ er diese Geste. / Die Geste des Halsabschneidens ist in seinem Fall nicht sadistisch, er führt sie nur vor. Als erster, niemand versteht sie. Eine Dreiviertelstunde später, wenn die anderen sie machen, begreift man. / Sie wurde zu einem der Stützpfeiler des Films. … Es ist die Geste von Bauern, die Schweine schlachten. … [Gawkowski] zog die Waggons nicht, er hat sie angeschoben. … Es steckt mehr Wahres in diesem winzigen, trivialen Befund als in jeder allgemeinen Aussage über das Problem des Bösen. … Es gäbe keinen Film, wenn diese Details für mich nicht eine so große Rolle spielen würden. Jeder weiß, dass sechs Millionen ermordet wurden, aber das ist eine Abstraktion.« Claude Lanzmann
Frau Pietyra
Piwonski, Jan
»Der Bahnhof von Sobibor ist nicht wie der von Treblinka, er gehört praktisch zum Lager.« Claude Lanzmann
Hilberg, Raul
(1926–2007)
US-amerikanischer Historiker und bedeutender Holocaust-Forscher österreichisch-jüdischer Herkunft. 1939 mit seiner Familie in die USA emigriert, wo er politische Geschichte studierte und von 1956–1991 an der Universität von Vermont lehrte. Seine Dissertation The Destruction of the European Jews (1961) gilt als eines der wenigen Standardwerke zur Gesamtgeschichte der NS-Vernichtungspolitik und ist von ihm im Laufe der Jahre mehrfach aktualisiert und ergänzt worden.
〉 Deutsche Ausgaben: Raul Hilberg: Die Vernichtung der europäischen Juden. Berlin 1982 (Frankfurt/Main 1990, 10. Auflage: 2007)
〉 1979 gab Hilberg das Tagebuch des Vorsitzenden des Judenrats im Warschauer Ghetto heraus, aus dem er im Film vorliest. Deutsche Ausgabe: Im Warschauer Getto. Das Tagebuch des Adam Czerniakow 1939–1942. München 1986
»Ich lernte Hilberg bei einem Historikerkongress 1975 kennen. Er unterschied sich deutlich von seinen Kollegen, durch die trockene Härte seiner Stimme, den völligen Verzicht auf Emphase und Pathos, die zuweilen beißende Ironie. Sein Buch hatte ich vollends in mich aufgesogen.« Claude Lanzmann
Herr Kantarowski
»Vor der Kirche habe ich diese unglaubliche Szene gedreht, in der Simon Srebnik umringt ist von Dorfbewohnern, die sich an ihn erinnern. Simon bleibt wie versteinert, abwesend. Die polnische Übersetzerin zensiert sich selbst als die Dörfler ›Jydki‹ [polnisches Schimpfwort für Jude] sagen. Der Organist kommt aus der Kirche und äußert schließlich diese Sätze, dass die Juden bestraft werden, weil sie Christus getötet haben und dass es ihm ein Rabbi gesteckt hätte. Es ist dies eine der markantesten Stellen des Films.« Claude Lanzmann
Karski, Jan
eigentlich Jan Kozielewski (1914–2000)
Polnisch-katholischer Widerstandskämpfer und legendärer Kurier der polnischen Exilregierung. In Lódź geboren. Karski beginnt zunächst ein Studium der Rechtswissenschaften und Diplomatie und arbeitet im polnischen Außenministerium, bevor er zum Militär eingezogen wird. Nachdem er als junger Leutnant zunächst in sowjetische, dann in deutsche Kriegsgefangenschaft gerät, aus der er fliehen kann, schließt er sich dem polnischen Widerstand an und vermittelt im nunmehr deutsch besetzten Polen zwischen der Heimatarmee (Armia Krajowa) im Untergrund und der Exilregierung in London. 1940 wird er von der Gestapo verhaftet und gefoltert. Selbstmordversuch und erneute Flucht mit Unterstützung des polnischen Untergrunds. Adolf Berman (1906–1978), der Vertreter des Jüdischen Nationalkomitees (ZKN), und Leon Feiner (1888–1945) vom sozialistisch-antizionistischen »Bund« schleusen ihn im Sommer 1942 zweimal durch einen Tunnel ins Warschauer Ghetto. Wenig später gelingt es Karski, in der Uniform der ukrainischen Miliz in ein KZ nahe Lublin einzudringen (das Vernichtungslager Belzec, wie er dachte; vermutlich handelte es sich jedoch um das Durchgangslager Izbica Lubelska) und im Herbst 1942 mit den gesammelten Informationen über Umwege nach London durchzukommen. Als Augenzeuge der Judenvernichtung spricht Karski bei den Alliierten vor, zunächst bei britischen Regierungsvertretern in London (u. a. Außenminister Anthony Eden), aber auch bei Intellektuellen und jüdischen Autoritäten. Man beschließt, ihn in die USA zu entsenden, um Washington über die Lage in Polen zu informieren. Präsident Franklin D. Roosevelt empfängt ihn am 28. Juli 1943 im Weißen Haus. Sein Bericht stößt vielfach auf Unglauben. 1944 erscheint in den USA sein Buch Story of A Secret State, in dem er seine Missionen schildert. Nach seiner Mission will Karski nach Polen zurückkehren, wird aber zurückgehalten: Seine Identität ist von den Deutschen aufgedeckt worden, die ihn als »bolschewistischen Agenten« hinstellen. Auch nach dem Krieg kann er nicht in das nun sowjetisch besetzte Polen zurück. Karski bleibt in den USA und beginnt eine erfolgreiche akademische Karriere in Washington. 1994 erhält Karski die Ehrenbürgerschaft des Staates Israel. Siehe auch DER KARSKI-BERICHT, erschienen bei absolut MEDIEN.
〉 Biografie in deutscher Übersetzung: E. Thomas Wood, Stanislaw M. Jankowski: Jan Karski – Einer gegen den Holocaust, Als Kurier in geheimer Mission. Gerlingen 1997
»Was Lanzmann betrifft, so erinnere ich mich, dass ich 1976 oder 1977 mehrere Briefe aus Paris bekam. Von Monsieur Claude Lanzmann: Er habe von mir erfahren, meine Adresse aufgespürt – er mache einen Film, der nicht so wie andere Filme sein werde. Es werde der großartigste Film werden, der jemals über die Juden gemacht worden ist. Schauspieler und Hollywood-Stars werde es nicht geben, nur Interviews mit drei Kategorien von Menschen. Erstens mit deutschen Verbrechern, wenn sie denn noch lebten und er sie finden könne. Zweitens mit jüdischen KZ-Überlebenden, an denen er besonders interessiert war. Und drittens mit jüdischen Zeugen, zu denen er auch mich zählte. Ich würde in seinem Film auftreten und er wolle mich interviewen. Ich habe das in mehreren Briefen abgelehnt: Monsieur Lanzmann, ich mache bei Ihrem Film nicht mit. Ich habe mit der Sache abgeschlossen, lassen Sie mich in Ruhe! Dann schrieb er mir, er käme nach Washington, wolle mich sehen und hoffe, ich werde ihn nicht zurückweisen. Das konnte ich nicht ablehnen, also willigte ich in das Treffen ein. Dann erschien er, mit fünf Mann Begleitung, Kameras u. s. w., und jetzt wolle er seinen Film machen. … Ich widersprach und widersprach, aber sein letztes Argument war: ›Professor Karski, schauen Sie in den Spiegel. Sie sind alt, Sie werden bald sterben – es ist Ihre Pflicht, mir zu helfen. Sie werden sehen, es wird der großartigste Film, der jemals über Juden gedreht wurde.‹ … Ich willigte also ein, und er filmte mich zwei Tage lang, jeden Tag vier Stunden. Später wurde der Film in der ganzen Welt eine Sensation. Ich weiß, wie sehr der Film kritisiert wurde, vor allem von Polen, aber ich habe nur eine Sache zu sagen: Das ist der großartigste Film, der jemals über den Holocaust an den Juden im Krieg gedreht worden ist – was Lanzmann mir von Anfang an versichert hatte.« Jan Karski, Köln 1997 (Quelle: www.zukunft-braucht-erinnerung.de/jan-karski)
Spieß, Alfred
(1919–2001)
»Besonders wichtig war für mich die Lektüre der Akten des Treblinka-Prozesses … auch auf den deutschen Staatsanwalt in diesem Prozess … stieß ich dort, der mich später sehr freundlich empfing und selbst einer der Protagonisten von SHOAH wurde.« Claude Lanzmann
»Die Konstruktion war auch diktiert von Fragen der Moral.
Ich hatte nicht das Recht, die Begegnung der Darsteller zu provozieren.
Ich konnte unmöglich die Nazis mit den Juden konfrontieren.
Das sind keine alten Kombattanten, die sich 40 Jahre danach
mit einem kräftigen Händedruck vor der Fernsehkamera wiederbegegnen.
Darum taucht der erste Nazi erst nach fast zwei Stunden auf.
In diesem Film begegnet keiner dem anderen. «
Täter
»Die, die wirklich mit der Vernichtung zu tun hatten, die sprechen nicht.
Die, die etwas zu sagen haben, tun es nicht.
Das ist das allgemeine Problem des Schweigens, das Problem Deutschlands.
Wie stellt sich Deutschland zu dieser Vergangenheit?
Und das ist nicht das Problem der ›Schuldfrage‹,
sondern viel mehr das einer historischen Verantwortung,
einer Verantwortung Deutschlands der eigenen Geschichte gegenüber.«
Grassler, Dr. jur. Franz
(1909–1998)
Michelsohn, Martha
Oberhauser, Josef (»Sepp«) Kaspar
(1915–1979)
Schalling, Franz
Stier, Walter
(1906–1985)
Ex-Mitglied der NSDAP und hoher Beamter der Reichsbahn; ab Januar 1940 bei der Gedob (General-direktion der Ostbahn), erst in Krakau, dann ab Mitte 1943 in Warschau als Leiter des Referats »Sonderzüge« im Dezernat 33, von dem sämtliche Fahrpläne für die Judentransporte in die Vernichtungslager ausgearbeitet wurden. Nach dem Krieg Aufstieg zum Bundesbahnamtsrat bei der Hauptverwaltung der Bundesbahn in Frankfurt am Main.
〉 Dazu: Raul Hilberg: Sonderzüge nach Auschwitz. Reichsbahndokumente. Frankfurt am Main, Berlin 1987
»Was da geschehen ist, hätte nicht geschehen können ohne einen allgemeinen Konsens der deutschen Nation. Diese Geschichte ist nicht die Tat einer Handvoll Gangster. Sie hat den Einsatz des gesamten Bürokratie- und Verwaltungsapparates eines großen, modernen Staates erfordert. Beweis: der Bürokrat der Reichsbahn (Walter Stier, der ehemalige Chef der Reichsbahnverwaltung). / … ein Schreibtischtäter. Ein ganz unangenehmer Mann.« Claude Lanzmann
Suchomel, Franz
(1907–1979)
Sudetendeutscher Schneidermeister, geb. in Böhmisch Krumau an der Moldau. Ehemaliger SS-Unterscharführer, ab Ende August 1942 bis Oktober 1943 Wächter in Treblinka, anschließend Sobibor, bis Kriegsende Oberitalien. In Treblinka war er vor allem mit der Erfassung von Wertsachen befasst; ihm unterstanden die 10–12 »Goldjuden«, darüber hinaus wachte er über 50 »Hofjuden« und das »Friseurkommando«. Gelegentlich half er bei der Transportabfertigung aus. Nach dem Krieg Schneidermeister in Altötting. Schwer katholisch, verheiratet, drei Kinder, passionierter Amateurmusiker. 1965 im Düsseldorfer Treblinka-Prozess wegen Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord an mindestens 300.000 Personen zu sechs Jahren Haft verurteilt. Am 20. Dezember 1967 aus der Haft entlassen.
»Was mein Verhältnis zu Suchomel … betrifft, so habe ich zu ihm in der Tat eine andere Art von Kontakt herstellen können. Ich habe ihn öfter getroffen, und in gewisser Weise ist es uns gelungen, miteinander zu sprechen. Aber er war es, der den Ort des Interviews bestimmt hat – Braunau am Inn, die Geburtsstadt Hitlers – das war seine Idee. Ich bin dort drei Tage vor dem Interviewtermin angereist, ich habe drei Hotelzimmer reserviert, und ich hatte einen Plan des Vernichtungslagers Treblinka dabei, den ich vom deutschen Vertreter der Anklage im Treblinka-Prozess bekommen hatte. Ich habe diesen Plan vergrößern lassen und an eine der Wände im Hotelzimmer gehängt. Dann bin ich in ein Geschäft für Anglerzubehör gegangen und habe eine Angelrute gekauft, die ich ein Stück abgesägt und so in einen Zeigestock, einen Lehrerstock verwandelt habe. Und als Suchomel zum vereinbarten Termin das Hotelzimmer betrat, begleitet von seiner Frau, sah er den Plan und zuckte zurück. Ich sagte ihm, dass er sich beruhigen solle und dass ich kein Nazi-Jäger sei. Ich wolle ihn nicht verurteilen und nicht von seiner Rolle sprechen – stattdessen wolle ich sein Schüler sein, er solle mir alles erklären – und ich gab ihm den Stock. Ich fragte ihn nach allem, was in Treblinka passiert war. Wie es möglich gewesen war bei ›Hochbetrieb des Lagers‹, so Suchomels Worte, fünfzehntausend Juden pro Tag zu töten. So begonnen, blieb unsere Diskussion auf einem technischen Niveau und Suchomel entwickelte zunehmend mehr Stolz; er berichtete mir von der Zeit, in der er jung und aktiv gewesen war und zeigte dabei einen gewissen berufsmäßigen Stolz.« Claude Lanzmann
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