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Jugend, Aufbruch, Zeitenwende
Biologie!
Abschiedsdisko

Jugend, Aufbruch, Zeitenwende

Neu restauriert und digitalisiert: DEFA-Filme aus den Jahren 1988-91

In der Vorwende- und Wendezeit entstand bei der DEFA eine Reihe von Filmen mit starken jugendlichen Hauptprotagonisten. Dazu zählen Peter Kahanes VORSPIEL (1987), Helmut Dziubas VERBOTENE LIEBE (1989), Rolf Losanskys ABSCHIEDSDISCO (1989), Jürgen Brauers TANZ AUF DER KLIPPE (1990), Jörg Foths BIOLOGIE! (1990) und Peter Welz’ BANALE TAGE (1990).

Die Produktionen stehen in der Tradition gesellschaftskritischer DDR-Gegenwartsfilme und waren in dieser offenen, gesellschaftsanalytischen Form erst in den Wendemonaten möglich. Die aufgegriffenen Themen und Konflikte sind allerdings auch heute noch aktuell – sie können aus ihrer Entstehungszeit herausgelöst diskutiert werden.

So beschäftigt sich VORSPIEL mit dem Heranwachsen in einer tristen Kleinstadt, der ersten Liebe und beruflichen Träumen. Dabei ist die „eingesperrte“ DDR in vielen Bezügen sichtbar, die Agonie der Gesellschaft ist mit Händen zu greifen.

Im Mittelpunkt von Verbotene Liebe stehen die gesetzlich verbotene Zuneigung zwischen einer 13-jährigen Schülerin und einem 18-jährigen Schüler, sowie die Unsicherheit des elterlichen und schulischen Umfelds im Umgang mit dem jungen Paar. Abschiedsdisco greift mit starken, symbolhaften Bildern den Verlust von Heimat durch den Braunkohleabbau und der ersten großen Liebe auf. Moralisches Handeln und der Wunsch nach Individualität sind Kernthemen in Tanz auf der Kippe. In Biologie! kämpft eine junge Schülerin für den Schutz der Umwelt und die Bewahrung eines Naturschutzgebiets – gegen einen mächtigen Widersacher, der zur politischen Nomenklatura gehört. Freundschaft und das Aufbegehren einer heranwachsenden Generation gegen gesellschaftlich etablierte Strukturen sind zentrale Motive in dem surrealistisch verfremdeten Film Banale Tage, der sich eng an die Inszenierungsästhetik von Frank Castorf hält, dem deutlichen Vorbild des Regisseurs Peter Welz.

Die jungen Hauptprotagonisten der Filme agieren in einem Spannungsfeld von Gefühlen des Aufbruchs und Aufbäumens auf der einen und Resignation und Entmutigung auf der anderen Seite. Vermittelt wird ein Gefühl für die Wendezeit aus jugendlicher Perspektive: Was bedeutete es Ende der 1980er Jahre in der DDR erwachsen zu werden? Welche Themen, Gedanken, Sorgen und Nöte beschäftigten die Jugendlichen? Wie gestaltete sich ihr Alltag? Was bewegte sie jenseits von FDJ und Schule? Wie war ihr Verhältnis zur Eltern-Generation? In welcher Form war Auflehnung möglich? Wie funktionierte staatliche Repression?

Die zum Großteil 1989/90 produzierten Filme kamen in einer Zeit des Umbruchs und der Ungewissheit in die Kinos. Nachdem die Drehbücher und Szenarien aufgrund ihrer zum Teil deutlichen DDR-Kritik mitunter jahrelang nicht realisiert werden konnten, wurden die Stoffe nun von den politischen Entwicklungen der Wendejahre eingeholt. Zum Teil waren noch während der Dreharbeiten umfangreiche Änderungen am Drehbuch nötig. Zwar blieben den Wende-Jugendfilmen, bedingt durch ihren Entstehungszeitraum – anders als früheren DEFA-Jugendfilmen wie Insel der Schwäne (1982) oder Erscheinen Pflicht (1983) – politische Einmischungen und nachträgliche Zensur erspart, jedoch fanden sie im Gegensatz zu ihren Vorgängern nur ein eingeschränktes Publikum. Themen, die ein paar Jahre zuvor ein politisches Erdbeben in der DDR ausgelöst hätten, hatten 1990 bereits stark an Relevanz eingebüßt. In gesellschaftlichen Diskursen und bei der Meinungsbildung spielten die Filme keine Rolle mehr. Wer sich seinerzeit einen Kinobesuch leistete, wollte dem Alltag entfliehen und nicht mit den alltäglichen Problemen der Jugend eines sich in Auflösung befindenden Staates konfrontiert werden – und für Filmstoffe aus einem untergegangenen Land bestand kein Markt. Die Filme wurden zwar in Programmkinos und auf Filmfestivals präsentiert – u.a. eröffnete Tanz auf der Kippe 1991 das Panorama der Berlinale – doch das breite Publikum ließ sich nicht mehr auf diese Filme ein.

Für die Filmschaffenden waren die Arbeiten vielfach das letzte Filmprojekt bei der DEFA, die 1992 endgültig abgewickelt wurde. Die Filmemacher drehten in Erwartung einer unsicheren Zukunft in einem neuen gesellschaftspolitischen System mit einer Filmbranche ohne Festanstellung und ohne gesicherte Filmfinanzierungen. Waren es vorher politische Gründe, die die Künstler an der Realisierung ihrer Projekte hinderten, fürchteten sie nun wirtschaftliche Beeinträchtigungen. Tatsächlich waren ihre Expertise und ihre Ideen im wiedervereinigten Deutschland oftmals nicht mehr gefragt. Für viele endete mit der DEFA auch die künstlerische Laufbahn. Das galt nicht nur für etablierte und für ihre Jugend- und Kinderfilme vielfach gewürdigte Regisseure wie Helmut Dziuba, sondern auch für hoffnungsvolle Talente der vierten DEFA-Regiegeneration wie Jörg Foth oder Peter Welz, die retrospektiv auch als die „chancenlose Generation der DEFA“ (Steingröver, 2014) bezeichnet wird.

Anders gestaltete sich die Zukunft für die jungen Schauspielerinnen und Schauspieler, die in den Wendefilmen jeweils ihre erste große Hauptrolle spielten. Für sie waren die Produktionen der Beginn einer erfolgreichen Karriere im gesamtdeutschen Film- und Fernsehgeschäft. Dazu zählen Hendrik Duryn (u.a. bekannt in der Titelrolle der RTL-Serie „Der Lehrer“), Julia Brendler (u.a. „Nord Nord Mord“), Stefanie Stappenbeck (u.a. „Polizeiruf 110“ und „Ein starkes Team“), Frank Stieren (u.a. „Die Rettungsflieger“) oder Florian Lukas (u.a. „Weissensee“ und „Good Bye, Lenin!“). Die DEFA war für sie ein künstlerisches Sprungbrett; ihre ersten Filme wieder oder neu zu sehen, kann für ihre Fans eine durchaus lohnende Entdeckungsreise sein.

Alle genannten Filme wurden in den vergangenen Monaten durch die DEFA-Stiftung digital restauriert und liegen nun in bestmöglicher Bild- und Tonqualität vor. Rund dreißig Jahre nach ihrer Erstaufführung verdienen sie es, neu bewertet und als politisch wie ästhetisch spannende Zeitzeugnisse der Vergessenheit entrissen zu werden.

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Biologie!

Neu restauriert und digitalisiert: DEFA-Filme aus den Jahren 1988-91

»Euch wird die Luft knapp werden, wenn Eure Zeit gekommen ist«, mahnt ein alter Kauz den 15-jährigen Hauptprotagonisten Henning, der den Unfalltod seiner Freundin Silke verarbeiten muss und zeitgleich feststellt, wie die Heimat seiner Vorfahren vor seinen Augen der Braunkohleförderung geopfert wird. Umstürzende Bäume stehen in der Produktion, die sich einer symbolhaften Filmsprache bedient, sinnbildlich für die verschwindenden Erinnerungen an eine vergangene Zeit.

Gleich zu Beginn des Films stoppt Hennings Vater, der im Zuge der Kohleförderung für die notwenigen Räumungen der betroffenen Ortschaften zuständig ist, eine Discoveranstaltung der Dorfjugend und beendet damit eine Zeit der Unbekümmertheit. Henning beginnt zu reflektieren, wird kritischer, wehrt sich gegen das Verdrängen und begehrt auf. »Man muss nicht immer machen, was die Alten für richtig erklären«, stellt er im Verlauf des Films fest und fragt seinen Vater: »Machen wir unsere Welt nicht kaputt?« Henning steht damit exemplarisch für eine DDR-Jugend, die sich ihre Zukunft in den 1980er-Jahren nicht mehr diktieren lassen möchte. Abschied – von der ersten Liebe, der vertrauten Heimat, der unbeschwerten Jugend – lautet das zentrale Motiv dieses Rolf-Losansky-Films.

ABSCHIEDSDISCO zeigt das fiktive sterbende Dorf Wussina (aus dem Wendischen für Wildnis) und die verschwindende malerische Natur in dessen Umgebung. Wussina fungiert als Sinnbild für die vielen im Zuge des DDR-Braunkohletagebaus abgebaggerten Ortschaften. Der Film weist auf die ökologischen und sozialen Folgen der Energiepolitik hin. Eine Problematik, die in dem sozialistischen Staat nur sehr vorsichtig bis gar nicht thematisiert wurde. Über den Zeitraum eines knappen Jahrzehnts konnte die gleichnamige literarische Vorlage von Joachim Nowotny nicht verfilmt werden. Bereits 1981 wurde das Filmszenarium diskutiert und zurückgewiesen, die folgende Überarbeitung wurde 1983 erneut abgelehnt. Die Stellungnahme der HV Film zum Rohdrehbuch 1986 schließt mit den Worten: »Es wird eine Änderung der Arbeitskonzeption empfohlen, bevor weitere Bearbeitungsschritte eingeleitet werden. Sollte eine solche Änderung nicht möglich sein, muss von staatlicher Seite die Einstellung der Arbeit an diesem Stoff durch Weisung herbeigeführt werden.« 1989 darf das Projekt doch realisiert werden.

Die Dreharbeiten fanden unter anderem in der Ortschaft Werbelin bei Delitzsch statt. Mehrfach ist die markante Dorfkirche im Film zu sehen. Der – aufgrund der für die Region einmaligen kreisförmigen Häuseranordnung um den Dorfplatz – unter Denkmalschutz stehende Ort wurde 1992 begleitet von großen Protesten abgebaggert, obwohl die Stilllegung des Tagebaus Delitzsch-Südwest bereits beschlossene Sache war. Weitere Aufnahmen entstanden in den ebenfalls devastierten Orten Schladitz und Breunsdorf. Seine Premiere feiert ABSCHIEDSDISCO am 5. April 1990 im Berliner Kino International. Der Stoff, der in den 1980er-Jahren in der DDR vermutlich zu vielen Diskussionen angeregt hätte, hat nach dem Mauerfall an Schlagkraft eingebüßt und findet kaum Publikum.

Für Laiendarsteller Holger Kubisch bleibt die Rolle des Henning Handschuh das einzige Filmengagement. In weiteren Rollen sind unter anderem die in den 1990er- und 2000er-Jahren als Hallenser Polizeiruf-Kommissare populären Schauspieler Jaecki Schwarz und Wolfgang Winkler zu sehen. ABSCHIEDSDISCO ist bis in die Nebenrollen prominent besetzt. So spielen bekannte Darsteller wie Horst Schulze und Gerhard Rachold. Für Rachold, der in mehreren Losansky-Filmen kleine Rollen übernahm, ist es nach einer mehr als 30-jährigen künstlerischen Laufbahn der letzte Filmauftritt. Der bekannte Komponist Reinhard Lakomy (u.a. »Der Traumzauberbaum«) zeichnete für die Filmmusik verantwortlich. Auffallend ist die Verwendung der New-Wave-Songs »Faces« und »Fee der Nacht« der Gruppe Datzu um die Greifswalder Sängerin Anett Kölpin aus dem 1989 bei Amiga erschienen Album »Bist du noch wach?«

Regisseur Rolf Losansky (1931–2016) inszenierte von 1963 bis 1992 insgesamt 17 Spielfilme bei der DEFA, die sich vornehmlich an ein junges Publikum richten. Das ihm gewidmete und von Hans-Dieter Tok verfasste Kapitel in dem von Rolf Richter 1981 herausgegeben Band »DEFA-Spielfilm-Regisseure und ihre Kritiker« trägt die Überschrift »Von der Schönheit und Schwierigkeit erwachsen zu werden und erwachsen zu sein«. Der Titel zollt der Tatsache Tribut, dass es Losansky über einen Zeitraum von drei Jahrzehnten gelungen war, Probleme und Herausforderungen der heranwachsenden Generationen filmisch aufzugreifen, ohne dabei auf eine unterhaltende Erzählung zu verzichten. »Ich will den Unterricht vom Vormittag nicht am Nachmittag mit meinen Filmen fortsetzen«, sagte der Regisseur in einem 2002 für die DEFA-Stiftung geführten Zeitzeugengespräch. Zu den bekanntesten Werken des Regisseurs zählen MORITZ UND DIE LITFASSSÄULE (1983), WEISSE WOLKE CAROLIN (1984) und DAS SCHULGESPENST (1986). Mit … VERDAMMT ICH BIN ERWACHSEN verfilmte Losansky 1974 schon einmal eine literarische Vorlage von Joachim Nowotny. Mit dem Ende der DEFA waren seine filmischen Ideen kaum mehr gefragt, und ihm gelangen nur noch wenige Filmprojekte.

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