Texte zur Filmreihe
DEFA
Wende
jugend
Jugend, Aufbruch, Zeitenwende
Neu restauriert und digitalisiert: DEFA-Filme aus den Jahren 1988-91
In der Vorwende- und Wendezeit entstand bei der DEFA eine Reihe von Filmen mit starken jugendlichen Hauptprotagonisten. Dazu zählen Peter Kahanes VORSPIEL (1987), Helmut Dziubas VERBOTENE LIEBE (1989), Rolf Losanskys ABSCHIEDSDISCO (1989), Jürgen Brauers TANZ AUF DER KIPPE (1990), Jörg Foths BIOLOGIE! (1990) und Peter Welz’ BANALE TAGE (1990).
Die Produktionen stehen in der Tradition gesellschaftskritischer DDR-Gegenwartsfilme und waren in dieser offenen, gesellschaftsanalytischen Form erst in den Wendemonaten möglich. Die aufgegriffenen Themen und Konflikte sind allerdings auch heute noch aktuell – sie können aus ihrer Entstehungszeit herausgelöst diskutiert werden.
So beschäftigt sich VORSPIEL mit dem Heranwachsen in einer tristen Kleinstadt, der ersten Liebe und beruflichen Träumen. Dabei ist die »eingesperrte« DDR in vielen Bezügen sichtbar, die Agonie der Gesellschaft ist mit Händen zu greifen.
Im Mittelpunkt von VERBOTENE LIEBE stehen die gesetzlich verbotene Zuneigung zwischen einer 13-jährigen Schülerin und einem 18-jährigen Schüler, sowie die Unsicherheit des elterlichen und schulischen Umfelds im Umgang mit dem jungen Paar.
ABSCHIEDSDISCO greift mit starken, symbolhaften Bildern den Verlust von Heimat durch den Braunkohleabbau und der ersten großen Liebe auf.
Moralisches Handeln und der Wunsch nach Individualität sind Kernthemen in TANZ AUF DER KIPPE.
In BIOLOGIE! kämpft eine junge Schülerin für den Schutz der Umwelt und die Bewahrung eines Naturschutzgebiets – gegen einen mächtigen Widersacher, der zur politischen Nomenklatura gehört.
Freundschaft und das Aufbegehren einer heranwachsenden Generation gegen gesellschaftlich etablierte Strukturen sind zentrale Motive in dem surrealistisch verfremdeten Film BANALE TAGE, der sich eng an die Inszenierungsästhetik von Frank Castorf hält, dem deutlichen Vorbild des Regisseurs Peter Welz.
Die jungen Hauptprotagonisten der Filme agieren in einem Spannungsfeld von Gefühlen des Aufbruchs und Aufbäumens auf der einen und Resignation und Entmutigung auf der anderen Seite. Vermittelt wird ein Gefühl für die Wendezeit aus jugendlicher Perspektive: Was bedeutete es Ende der 1980er Jahre in der DDR erwachsen zu werden? Welche Themen, Gedanken, Sorgen und Nöte beschäftigten die Jugendlichen? Wie gestaltete sich ihr Alltag? Was bewegte sie jenseits von FDJ und Schule? Wie war ihr Verhältnis zur Eltern-Generation? In welcher Form war Auflehnung möglich? Wie funktionierte staatliche Repression?
Die zum Großteil 1989/90 produzierten Filme kamen in einer Zeit des Umbruchs und der Ungewissheit in die Kinos. Nachdem die Drehbücher und Szenarien aufgrund ihrer zum Teil deutlichen DDR-Kritik mitunter jahrelang nicht realisiert werden konnten, wurden die Stoffe nun von den politischen Entwicklungen der Wendejahre eingeholt. Zum Teil waren noch während der Dreharbeiten umfangreiche Änderungen am Drehbuch nötig. Zwar blieben den Wende-Jugendfilmen, bedingt durch ihren Entstehungszeitraum – anders als früheren DEFA-Jugendfilmen wie INSEL DER SCHWÄNE (1982) oder ERSCHEINEN PFLICHT (1983) – politische Einmischungen und nachträgliche Zensur erspart, jedoch fanden sie im Gegensatz zu ihren Vorgängern nur ein eingeschränktes Publikum. Themen, die ein paar Jahre zuvor ein politisches Erdbeben in der DDR ausgelöst hätten, hatten 1990 bereits stark an Relevanz eingebüßt. In gesellschaftlichen Diskursen und bei der Meinungsbildung spielten die Filme keine Rolle mehr. Wer sich seinerzeit einen Kinobesuch leistete, wollte dem Alltag entfliehen und nicht mit den alltäglichen Problemen der Jugend eines sich in Auflösung befindenden Staates konfrontiert werden – und für Filmstoffe aus einem untergegangenen Land bestand kein Markt. Die Filme wurden zwar in Programmkinos und auf Filmfestivals präsentiert – u.a. eröffnete TANZ AUF DER KIPPE 1991 das Panorama der Berlinale – doch das breite Publikum ließ sich nicht mehr auf diese Filme ein.
Für die Filmschaffenden waren die Arbeiten vielfach das letzte Filmprojekt bei der DEFA, die 1992 endgültig abgewickelt wurde. Die Filmemacher drehten in Erwartung einer unsicheren Zukunft in einem neuen gesellschaftspolitischen System mit einer Filmbranche ohne Festanstellung und ohne gesicherte Filmfinanzierungen. Waren es vorher politische Gründe, die die Künstler an der Realisierung ihrer Projekte hinderten, fürchteten sie nun wirtschaftliche Beeinträchtigungen. Tatsächlich waren ihre Expertise und ihre Ideen im wiedervereinigten Deutschland oftmals nicht mehr gefragt. Für viele endete mit der DEFA auch die künstlerische Laufbahn. Das galt nicht nur für etablierte und für ihre Jugend- und Kinderfilme vielfach gewürdigte Regisseure wie Helmut Dziuba, sondern auch für hoffnungsvolle Talente der vierten DEFA-Regiegeneration wie Jörg Foth oder Peter Welz, die retrospektiv auch als die »chancenlose Generation der DEFA« (Steingröver, 2014) bezeichnet wird.
Anders gestaltete sich die Zukunft für die jungen Schauspielerinnen und Schauspieler, die in den Wendefilmen jeweils ihre erste große Hauptrolle spielten. Für sie waren die Produktionen der Beginn einer erfolgreichen Karriere im gesamtdeutschen Film- und Fernsehgeschäft. Dazu zählen Hendrik Duryn (u.a. bekannt in der Titelrolle der RTL-Serie DER LEHRER), Julia Brendler (u.a. NORD NORD MORD), Stefanie Stappenbeck (u.a. POLIZEIRUF 110 und EIN STARKES TEAM), Frank Stieren (u.a. DIE RETTUNGSFLIEGER) oder Florian Lukas (u.a. WEISSENSEE und GOOD BYE, LENIN!). Die DEFA war für sie ein künstlerisches Sprungbrett; ihre ersten Filme wieder oder neu zu sehen, kann für ihre Fans eine durchaus lohnende Entdeckungsreise sein.
Alle genannten Filme wurden in den vergangenen Monaten durch die DEFA-Stiftung digital restauriert und liegen nun in bestmöglicher Bild- und Tonqualität vor. Rund dreißig Jahre nach ihrer Erstaufführung verdienen sie es, neu bewertet und als politisch wie ästhetisch spannende Zeitzeugnisse der Vergessenheit entrissen zu werden.
Biologie!
Im letzten Schuljahr an der Oberschule unternimmt die 15-jährige Ulla gemeinsam mit ihrer Klasse und ihrem Lehrer eine Exkursion ins Landschaftsschutzgebiet. Dabei entdeckt sie, dass dort eine Datsche gebaut und eine Forellenzucht betrieben wird. In dem Mädchen regt sich Widerstand. Sie ist nicht bereit, die Eingriffe in die Natur hinzunehmen und setzt für ihre Ideale die eigene Zukunft bedingungslos aufs Spiel. Während sich viele Jugendliche für Natur- und Artenschutz einsetzen, stößt ihr Engagement in der Erwachsenengeneration weitgehend auf Unverständnis. Wenn Ulla ihrer Mutter energisch entgegenruft: »Sollen wir denn einfach zusehen, wie unter dem Siegel der Verschwiegenheit alles in die Binsen geht?«, hat das durchaus Parallelen zur schwedischen Schülerin Greta Thunberg, die rund dreißig Jahre nach der Filmpremiere von BIOLOGIE! mit Ihrem Schulstreik fürs Klima und der daraus hervorgehenden Fridays for Future-Bewegung weltweit für Aufsehen sorgt.
BIOLOGIE! ist jedoch nicht nur ein Plädoyer für den Umweltschutz, sondern auch eine Teenager-Liebesgeschichte. Ulla verliebt sich in den computerbegeisterten Winfried, den Sohn der Familie Tübner, die im Landschaftsschutzgebiet baut. Unter Ullas Einfluss beginnt auch er gegen die Elterngeneration zu rebellieren. »Du redest doch alle tot mit deinen ewig geschliffenen Reden. Ich kann das nicht mehr hören. Eure Augenauswischerei – Sie kotzt mich an!«, wirft er seinem Vater an den Kopf und stellt sich damit auf die Seite der jungen Umweltschützerin.
Hauptdarstellerin Stefanie Stappenbeck begann bereits als Schülerin mit der Schauspielerei. Ihr Debüt feierte die 1974 in Potsdam Geborene 1986 in der Fernsehproduktion DER ELTERNTAUSCHLADEN (R: Carl-Hermann Risse). Zwei Jahre später spielte sie die Anette im weihnachtlichen TV-Kultfilm DIE WEIHNACHTSGANS AUGUSTE (R: Bodo Fürneisen). Die Rolle der Ulla in BIOLOGIE! war ihr erstes Engagement in einem Kinofilm. In den Erwachsenenrollen wirken bekannte Gesichter der DEFA mit, u.a. Carl Heinz Choynski als Lehrer Hansen; weiterhin Peter Prager, Heide Kipp und André Hennicke. In Cameo-Auftritten sind Dokumentarfilmregisseurin Helke Misselwitz und Dramaturgin Erika Richter zu sehen.
BIOLOGIE! basiert auf der literarischen Vorlage Die Wasseramsel des Schriftstellers und Naturfotografen Wolf Spillner. Eine Verfilmung wurde bereits ab 1982 bei der DEFA diskutiert, jedoch mehrfach zurückgewiesen. Im Februar 1989 lehnte Generaldirektor Hans Dieter Mäde den Stoff ein letztes Mal ab. Nachdem Mäde – offiziell aus gesundheitlichen Gründen – seine Leitungsaufgaben nicht mehr wahrnahm, entstand ein Entscheidungsvakuum, in dessen Folge auch die Wasseramsel-Adaption 1989 noch bewilligt wurde.
Regisseur Jörg Foth (* 1949) hatte die DEFA nach Auslaufen seines Nachwuchsvertrags zum 1. Januar 1989 eigentlich bereits enttäuscht verlassen, um sich dem Theater zu widmen. Ihm war nach seinem Debütfilm DAS EISMEER ruft (1983) lange Zeit kein eigenes Spielfilmprojekt anvertraut worden. Die von ihm gemeinsam mit Regisseur Tran Vu realisierte Co-Produktion der DEFA mit Vietnam, DSCHUNGELZEIT (1987), verschwand nach wenigen Tagen aus den Kinos, nachdem sich die Vietnamesen von dem Projekt distanziert hatten. Erika Richter überzeugte Foth im Frühjahr 1989 zur Rückkehr, um Die Wasseramsel zu verfilmen. Die Dreharbeiten in Brandenburg begannen am 16. August und endeten am 1. November 1989 wenige Tage vor dem Mauerfall. Die tagesaktuellen gesellschaftspolitischen Entwicklungen im Herbst 1989 drängten die thematische Brisanz des Films, der die Wendeereignisse nahezu unbeachtet lässt, zurück. BIOLOGIE! wurde kaum in den Kinos gezeigt. Renate Kruppa schrieb am 22. September 1990 nach der offiziellen Filmpremiere im Kammerkino Schwerin in der Schweriner Volkszeitung: »Noch vor einem Jahr wäre der kritische Streifen sicher eine Sensation gewesen, heute erscheint er wie ein Traum von gestern.«
Die Band, die im Film auf der Messe der Meister von morgen (MMM) mit dem Lied »Langeweile« der Gruppe Pankow auftritt und sich für BIOLOGIE! The Breads nannte, besteht im Kern aus den Mitgliedern einer in den 1990er Jahren unter dem Namen The Inchtabokatables bekannten Berliner Band. Geiger und Sänger der Gruppe waren bereits in Jörg Foths DEFA-Dokumentarfilm ACH DU JEH – EIN HANS DAMPF UND WURST DOKUMENT (1989) zu sehen. BIOLOGIE! zeigt weiterhin einen Ausschnitt des DEFA-Augenzeugen 24/1950, in dem der 1988 verstorbene britische Journalist John Scott Peet prophezeit: »Einmal wird die Zeit kommen, wo alle Journalisten ehrlich und anständige Menschen sein können, statt wie heutzutage die Füllfeder der Kriegshetze.« Peet war 1950 in die DDR übergesiedelt und dort zunächst mehr als zwei Jahrzehnte Chefredakteur des Democratic German Report. 1975 wurde die Zeitschrift, die sich zunehmend DDR-kritisch äußerte, auf politische Weisung eingestellt und Peet ging in den Ruhestand.
Philip Zengel (März 2020)
Credits
Biologie!
DEFA-Studio für Spielfilme, Gruppe »Babelsberg«, 1990
Regie: Jörg Foth
Szenarium: Gabriele Kotte, Wolfgang Müller
Literarische Vorlage: Roman »Die Wasseramsel« von Wolf Spillner
Kamera: Michael Göthe
Schnitt: Haike Brauer
Ton: Günter Witt, Günter Springer
Musik: Christoph Theusner
Dramaturgie: Erika Richter
Produktion: Alexander Gehrke
Darsteller: Stefanie Stappenbeck, Cornelius Schulz, Uta Reckzeh, Robert Arnold, Carl Heinz Choynski, Katrin Klein, Peter Prager, Heide Kipp, Horst Rehberg, Axel Werner u.a.
DEFA-Fotograf: Dieter Jaeger
Copyright: DEFA-Studio für Spielfilme 1990 © DEFA-Stiftung. All rights reserved.
FFA-Förderprogramm Filmerbe (Förderung Digitalisierung)
Abschiedsdisco
»Euch wird die Luft knapp werden, wenn Eure Zeit gekommen ist«, mahnt ein alter Kauz den 15-jährigen Hauptprotagonisten Henning, der den Unfalltod seiner Freundin Silke verarbeiten muss und zeitgleich feststellt, wie die Heimat seiner Vorfahren vor seinen Augen der Braunkohleförderung geopfert wird. Umstürzende Bäume stehen in der Produktion, die sich einer symbolhaften Filmsprache bedient, sinnbildlich für die verschwindenden Erinnerungen an eine vergangene Zeit.
Gleich zu Beginn des Films stoppt Hennings Vater, der im Zuge der Kohleförderung für die notwenigen Räumungen der betroffenen Ortschaften zuständig ist, eine Discoveranstaltung der Dorfjugend und beendet damit eine Zeit der Unbekümmertheit. Henning beginnt zu reflektieren, wird kritischer, wehrt sich gegen das Verdrängen und begehrt auf. »Man muss nicht immer machen, was die Alten für richtig erklären«, stellt er im Verlauf des Films fest und fragt seinen Vater: »Machen wir unsere Welt nicht kaputt?« Henning steht damit exemplarisch für eine DDR-Jugend, die sich ihre Zukunft in den 1980er-Jahren nicht mehr diktieren lassen möchte. Abschied – von der ersten Liebe, der vertrauten Heimat, der unbeschwerten Jugend – lautet das zentrale Motiv dieses Rolf-Losansky-Films.
ABSCHIEDSDISCO zeigt das fiktive sterbende Dorf Wussina (aus dem Wendischen für Wildnis) und die verschwindende malerische Natur in dessen Umgebung. Wussina fungiert als Sinnbild für die vielen im Zuge des DDR-Braunkohletagebaus abgebaggerten Ortschaften. Der Film weist auf die ökologischen und sozialen Folgen der Energiepolitik hin. Eine Problematik, die in dem sozialistischen Staat nur sehr vorsichtig bis gar nicht thematisiert wurde. Über den Zeitraum eines knappen Jahrzehnts konnte die gleichnamige literarische Vorlage von Joachim Nowotny nicht verfilmt werden. Bereits 1981 wurde das Filmszenarium diskutiert und zurückgewiesen, die folgende Überarbeitung wurde 1983 erneut abgelehnt. Die Stellungnahme der HV Film zum Rohdrehbuch 1986 schließt mit den Worten: »Es wird eine Änderung der Arbeitskonzeption empfohlen, bevor weitere Bearbeitungsschritte eingeleitet werden. Sollte eine solche Änderung nicht möglich sein, muss von staatlicher Seite die Einstellung der Arbeit an diesem Stoff durch Weisung herbeigeführt werden.« 1989 darf das Projekt doch realisiert werden.
Die Dreharbeiten fanden unter anderem in der Ortschaft Werbelin bei Delitzsch statt. Mehrfach ist die markante Dorfkirche im Film zu sehen. Der – aufgrund der für die Region einmaligen kreisförmigen Häuseranordnung um den Dorfplatz – unter Denkmalschutz stehende Ort wurde 1992 begleitet von großen Protesten abgebaggert, obwohl die Stilllegung des Tagebaus Delitzsch-Südwest bereits beschlossene Sache war. Weitere Aufnahmen entstanden in den ebenfalls devastierten Orten Schladitz und Breunsdorf. Seine Premiere feiert ABSCHIEDSDISCO am 5. April 1990 im Berliner Kino International. Der Stoff, der in den 1980er-Jahren in der DDR vermutlich zu vielen Diskussionen angeregt hätte, hat nach dem Mauerfall an Schlagkraft eingebüßt und findet kaum Publikum.
Für Laiendarsteller Holger Kubisch bleibt die Rolle des Henning Handschuh das einzige Filmengagement. In weiteren Rollen sind unter anderem die in den 1990er- und 2000er-Jahren als Hallenser Polizeiruf-Kommissare populären Schauspieler Jaecki Schwarz und Wolfgang Winkler zu sehen. ABSCHIEDSDISCO ist bis in die Nebenrollen prominent besetzt. So spielen bekannte Darsteller wie Horst Schulze und Gerhard Rachold. Für Rachold, der in mehreren Losansky-Filmen kleine Rollen übernahm, ist es nach einer mehr als 30-jährigen künstlerischen Laufbahn der letzte Filmauftritt. Der bekannte Komponist Reinhard Lakomy (u.a. »Der Traumzauberbaum«) zeichnete für die Filmmusik verantwortlich. Auffallend ist die Verwendung der New-Wave-Songs »Faces« und »Fee der Nacht« der Gruppe Datzu um die Greifswalder Sängerin Anett Kölpin aus dem 1989 bei Amiga erschienen Album »Bist du noch wach?«
Regisseur Rolf Losansky (1931–2016) inszenierte von 1963 bis 1992 insgesamt 17 Spielfilme bei der DEFA, die sich vornehmlich an ein junges Publikum richten. Das ihm gewidmete und von Hans-Dieter Tok verfasste Kapitel in dem von Rolf Richter 1981 herausgegeben Band »DEFA-Spielfilm-Regisseure und ihre Kritiker« trägt die Überschrift »Von der Schönheit und Schwierigkeit erwachsen zu werden und erwachsen zu sein«. Der Titel zollt der Tatsache Tribut, dass es Losansky über einen Zeitraum von drei Jahrzehnten gelungen war, Probleme und Herausforderungen der heranwachsenden Generationen filmisch aufzugreifen, ohne dabei auf eine unterhaltende Erzählung zu verzichten. »Ich will den Unterricht vom Vormittag nicht am Nachmittag mit meinen Filmen fortsetzen«, sagte der Regisseur in einem 2002 für die DEFA-Stiftung geführten Zeitzeugengespräch. Zu den bekanntesten Werken des Regisseurs zählen MORITZ IN DER LITFASSSÄULE (1983), WEISSE WOLKE CAROLIN (1984) und DAS SCHULGESPENST (1986). Mit … VERDAMMT ICH BIN ERWACHSEN verfilmte Losansky 1974 schon einmal eine literarische Vorlage von Joachim Nowotny. Mit dem Ende der DEFA waren seine filmischen Ideen kaum mehr gefragt, und ihm gelangen nur noch wenige Filmprojekte.
Credits
Vorspiel
DEFA-Studio für Spielfilme, Gruppe »Berlin«, 1989
Regie und Drehbuch: Rolf Losansky
Szenarium: Joachim Nowotny
Literarische Vorglage: Erzählung »Abschiedsdisco« von Joachim Nowotny
Kamera: Helmut Grewald
Schnitt: Ilona Thiel
Ton: Brigitte Pradel, Wolfgang Großmann
Musik: Reinhard Lakomy
Dramaturgie: Werner Beck
Produktion: Harald Fischer
Darsteller: Holger Kubisch, Dana Brauer, Susanne Saewert, Horst Schulze, Jaecki Schwarz, Ellen Helwig, Fritz Marquardt, Daniela Hoffmann, Anneliese Matschulat, Wolfgang Winkler u.a.
DEFA-Fotograf: Rigo Dommel
Copyright: DEFA-Studio für Spielfilme 1989 © DEFA-Stiftung. All rights reserved.
FFA-Förderung (Förderung Digitalisierung)
Vorspiel
Prolog eines Stückes; Probe vor der eigentlichen Herausforderung; Vorsprechen für die Schauspielschule; Zärtlichkeiten vor dem Geschlechtsverkehr; oder ganz allgemein: das, was vor dem Wesentlichen kommt – Der Filmtitel VORSPIEL ist vielfältig interpretierbar und alle Lesarten haben für diesen DEFA-Film ihre Berechtigung.
Eine Gruppe junger Leute in einer ostdeutschen Kleinstadt. Die Umgebung wirkt trostlos, die Häuser sind grau in grau. Die Jugendlichen warten darauf, dass etwas passiert. Sie spielen Streiche und entdecken erste Gefühle füreinander. Im Mittelpunkt steht der treuherzige Dekorationslehrling Tom, der Hals über Kopf in die neu zugezogene Corinna verliebt ist und ihr versucht zu imponieren. Gemeinsam mit ihr probt er für die Schauspielaufnahmeprüfung Kleists »Käthchen von Heilbronn«. Die melancholische Szenerie wird immer wieder durch Komisches gebrochen, etwa wenn Tom eine Schaufensterpuppe wie Corinna ankleidet oder sich von seinem Rivalen Major das ABC der Verführung in einem abgewrackten Auto erklären lässt. Die Selbstfindungsprozesse der jungen Helden erhalten so einen unterhaltsamen Charme.
An den Berufswünschen der Jugendlichen manifestieren sich Generationskonflikte: »Nichts von dem du geträumt hast, ist Wirklichkeit geworden«, wirft Corinna ihrem Vater vor, als dieser ihr verbieten möchte Schauspielerin zu werden, um in die Fußstapfen ihrer getrennt von der Familie lebenden Mutter zu treten. Am Rande erfährt der Zuschauer, dass diese am Anklamer Theater spielt – jener Bühne, die als »Strafkolonie am Ende der Welt« unter Leitung von Frank Castorf in den 1980er Jahren über die DDR hinaus Bekanntheit erlangte.
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VORSPIEL ist eine Hommage an Kino und Theater als Orte der Sehnsucht, an Träume und Erinnerungen. Regelmäßig treffen sich die Jugendlichen im örtlichen Filmtheater und sehen eine DEFA-Retrospektive mit Filmen aus den 1950er Jahren wie BERLIN – ECKE SCHÖNHAUSER… (Gerhard Klein, 1957) und MEINE FRAU MACHT MUSIK (Hans Heinrich, 1958). An anderer Stelle ertönt während einer Theaterprobe in einem sonst nicht mehr benutzten Raum des Kinos aus dem Hintergrund Karl-Ernst Sasses Filmmusik zu DER SCOUT (Dshamjangijn Buntar & Konrad Petzold, 1982). Barbara Cantow verweist in ihrem Artikel in »Beiträge zur Film- und Fernsehwissenschaft« (Jg. 30, Bd. 36) darauf, dass Kahane stark von François Truffauts Antoine-Doinel-Zyklus mit Jean-Pierre Léaud in der Hauptrolle beeinflusst worden sein muss. Die Konfrontationsszene zwischen Tom und Major erinnert sie an den Hollywood-Klassiker …DENN SIE WISSEN NICHT, WAS SIE TUN (Nicholas Ray, 1955).
Gedreht wurde VORSPIEL überwiegend in Schönebeck an der Elbe im damaligen Bezirk Magdeburg. Die Dreharbeiten begannen am 11. November 1986 und endeten am 9. Februar 1987. Im Berliner Kino Kosmos feierte die Produktion am 5. November 1987 Premiere. Für Regisseur Peter Kahane (* 1949) war es nach seinem halblangen Debütfilm WEIBERWIRTSCHAFT (1983) und ETE UND ALI (1984) der dritte Spielfilm. Das Drehbuch schrieb Kahane gemeinsam mit dem Autor Thomas Knauf. 1990 kommt es für Kahanes letztes DEFA-Filmprojekt DIE ARCHITEKTEN zu einer weiteren Zusammenarbeit zwischen den beiden. Die Arbeit von Andreas Köfer, der bei allen DEFA-Spielfilmen Kahanes die Kamera führte, fand in zeitgenössischen Kritiken besondere Beachtung: »Das Klima des Films wird entscheidender als gewöhnlich mitbestimmt von der Kamera«, urteilte Jutta Voigt in der Wochenzeitung »Sonntag« vom 22. November 1987. Ute Semkat schwärmte in der »Magdeburger Volksstimme« davon, »wie Kameramann Andreas Köfer (…) Schönebeck im blauen Abenddämmern geradezu verzauberte«. 1988 wird VORSPIEL auf dem Filmfestival Max Ophüls Preis in Saarbrücken mit dem Preis des Oberbürgermeisters ausgezeichnet.
Viel Lob erhielten auch die jungen Darsteller. Hendrik Duryn, der zuvor bereits in einer kleinen Rolle im DEFA-Kriminalfilm VERNEHMUNG DER ZEUGEN (Gunther Scholz, 1987) zu sehen war, spielt hier seine erste Hauptrolle und beginnt im Anschluss ein Studium an der Leipziger Theaterhochschule »Hans Otto«. Duryn ist heute insbesondere für die Titelrolle in der RTL-Serie DER LEHRER bekannt. Auch Susanne Hoss und Ahmad Mesgarha debütieren in VORSPIEL und ergreifen später den Schauspielerberuf. Antje Straßburger trat bereits drei Jahre zuvor im DDR-Fernsehen in der Märchenverfilmung DIE GESCHICHTE VOM GOLDENEN TALER (Bodo Fürneisen, 1985) auf. Sie gewinnt Darstellerpreise auf dem Kinderfilmfestival Goldener Spatz und den Bronzenen Lorbeer des DFF. In Nebenrollen agieren bekannte DEFA-Schauspieler wie Hermann Beyer, Karin Schröder und Arianne Borbach.
Mit Liebe zum Detail verantwortete Tamás Kahane, der damals erst 19-jährige Sohn des Regisseurs, die Filmmusik: So erklingt beispielsweise Inka Bauses populäres Debüt »Spielverderber«, als die Jugendlichen von einem Türsteher abgewiesen werden. Tamás Kahane singt auch den vom Gefühl der Sehnsucht handelnden Titelsong, dessen Text von Alfred Rösler stammt:
Einmal kommt der Himmel runter, wie ein blauer Stein.
Einmal schlägt ein rundes Wunder auf der Kreuzung ein.
Und rollt die Stadt ans Meer, wir treiben hinterher.
Nur einmal hin, ein kleines Stück und zurück.
Einmal unterm Segel liegen, aber nicht allein.
Einmal mit den Armen fliegen – way up to the sky.
Credits
Vorspiel
DEFA-Studio für Spielfilme, Gruppe »Roter Kreis«, 1987
Regie: Peter Kahane
Szenarium: Thomas Knauf, Peter Kahane
Kamera: Andreas Köfer
Schnitt: Ilse Peters
Ton: Hans-Henning Thölert
Musik: Tamás Kahane
Dramaturgie: Christel Gräf
Produktion: Uwe Kraft
Darsteller: Hendrik Duryn, Susanne Hoss, Antje Straßburger, Ahmad Mesgarha, Thomas Laudzim, Karin Schröder, Hermann Beyer, Daniela Dittberner, Nora Galk, Arianne Borbach u.a.
DEFA-Fotograf: Klaus Goldmann
Copyright: DEFA-Studio für Spielfilme 1987 © DEFA-Stiftung. All rights reserved.
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Tanz auf der Kippe
7. Oktober 1989. Der 17-jährige Schüler Gerat wird auf einer Müllkippe überfallen und sein Gesicht in eine ätzende Lauge gedrückt. Er erblindet. Parallel laufen die Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der DDR über die Fernsehbildschirme. In Rückblenden erfährt der Zuschauer die Hintergründe, die zum Überfall führten. TANZ AUF DER KIPPE erzählt von einem Jungen, der mit den Bedingungen der Zeit nicht zurechtkommt. Gerat möchte sich nicht an gesellschaftliche Normen anpassen, will stets die Wahrheit sagen und erträgt Ungerechtigkeiten nur schwer. Mit Elan und Überzeugung singt er den Blue-Jeans-Song des Edgar Wibeau aus Ulrich Plenzdorfs Theaterstück »Die neuen Leiden des jungen W.«. Gerat handelt ohne Rücksicht auf mögliche persönliche Konsequenzen und stößt mit seinem Verhalten andere vor den Kopf. Verstanden fühlt er sich nur von seiner Lehrerin Claudia, in die er sich verliebt.
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Regisseur Jürgen Brauer (*1938) bedient sich in TANZ AUF DER KIPPE einer metaphorischen und symbolhaften Bildsprache. Besonders in Erinnerung bleibt die titelgebende Szene, in der Gerat und Claudia zu den Klängen des Songs I Want Two Wings der international bekannten Gospelgruppe Golden Gate Quartett über die Müllkippe tanzen, nachdem sie das DDR-Nachrichtenprogramm stumm geschaltet haben. I want two wings to veil my face. I want two wings to veil my feet. I want two wings to fly away, and the world can’t do me no harm.
TANZ AUF DER KIPPE entstand nach dem Roman »Augenoperation« des Schriftstellers Jurij Koch. Bereits 1989 verfilmte Jürgen Brauer mit SEHNSUCHT eine Novelle des sorbischen Autors. Brauer ist ab Mitte der 1960er-Jahre gefragter Kameramann bei der DEFA und verantwortet in dieser Funktion mehrere Filme von Heiner Carow, Günter Reisch und Horst Seemann. 1980 realisiert er mit der Adaption des Alfred-Wellm-Romans PUGOWITZA sein Debüt als Regisseur. Zusammen mit Günther Rücker inszeniert er mit HILDE, DAS DIENSTMÄDCHEN (1986) einen weiteren historischen Stoff. Mehrfach dreht Brauer Filme, die sich insbesondere an ein junges Publikum richten, darunter das Märchen GRITTA VON RATTENZUHAUSBEIUNS (1984) und die Adaption des Benno-Pludra-Buches DAS HERZ DES PIRATEN (1987). Sein letztes DEFA-Projekt ist die Co-Produktion ANNA ANNA (1993), die er in Co-Regie mit der schweizerischen Regisseurin Greti Kläy verwirklicht.
Brauer erinnert sich in einem Zeitzeugengespräch mit der DEFA-Stiftung, dass das Drehbuch von TANZ AUF DER KIPPE ein Jahr vor der Wende nicht zur Verfilmung freigegeben wurde. Erst nach dem Mauerfall kann das Projekt realisiert werden. Die Einbindung der politischen Ereignisse der Vorwendezeit in das Skript erfolgt nachträglich. Gedreht wird zwischen dem 24. Juli und 30. September 1990. Am 16. Februar 1991 feiert TANZ AUF DER KIPPE auf den Internationalen Filmfestspielen Berlin seine Uraufführung und eröffnet die Sektion Panorama. Die Kritikermeinungen reichen weit auseinander. Während Frank-Burkhard Habel im »Filmklub-Kurier« der Produktion auch Chancen im Wettbewerb des Festivals zugebilligt hätte, beginnt Henryk Goldberg im »Neuen Deutschland« seine Filmbesprechung mit den Worten: »Ich sage es nicht so gern, aber dieser Film interessiert mich nicht.« Goldberg verdeutlicht mit diesem Einstieg, warum TANZ AUF DER KIPPE – und vielen weiteren DEFA-Wendefilmen – seinerzeit nur eine kleine Kinoauswertung beschieden war: Die Stoffe konnten mit den tagesaktuellen Entwicklungen nicht mithalten, büßten an Schlagkraft ein und trafen nicht mehr den Nerv des Publikums. Heute zählt TANZ AUF DER KIPPE zu den spannendsten filmischen Dokumenten der Umbruchszeit, beschreibt die Chancen und Risiken des Wechselspiels zwischen »alten« Stoffen und neuen Freiheiten.
Frank Stieren feiert mit der Rolle des Gerat noch vor Beendigung des Schauspielstudiums sein Filmdebüt. Kurz darauf folgt ein weiteres Engagement in Andreas Kleinerts Spielfilm VERLORENE LANDSCHAFT (1992). Später ist Stieren in zahlreichen deutschen Fernsehfilmen und -serien zu sehen, u.a. an der Seite von Barbara Rudnik und Alexandra Maria Lara. Dagmar Manzel ist zum Zeitpunkt der Dreharbeiten von TANZ AUF DER KIPPE bereits eine etablierte Theaterschauspielerin, die am Deutschen Theater in Berlin Erfolge feiert. Bei der DEFA übernimmt sie Hauptrollen in den Heiner-Carow-Filmen SO VIELE TRÄUME (1986) und COMING OUT (1989). Mit zahlreichen Auftritten in Kino- und Fernsehproduktionen sowie als Musical- und Operettensängerin und in Liederabenden an der Komischen Oper Berlin zählt sie zu den gefragtesten deutschen Schauspielerinnen. Lob findet in den zeitgenössischen Kritiken auch die Darstellung des Vaters durch Winfried Glatzeder. Nach seiner Ausbürgerung in die BRD 1982 wirkt Glatzeder erstmals wieder in einer DEFA-Produktion mit. In der Rolle des Augenmediziners ist der renommierte Arzt Dirkpeter Schulze zu sehen, der 26 Jahre als Chefarzt an der Potsdamer Augenklinik arbeitete. Das heutige »Ernst von Bergmann Klinikum« ist auch Drehort vieler Szenen von TANZ AUF DER KIPPE.
Credits
Tanz auf der Kippe
DEFA Studio Babelsberg GmbH, Gruppe »Johannisthal«, 1991
Regie und Drehbuch: Jürgen Brauer
Szenarium: Jurij Koch
Literarische Vorlage: Roman »Augenoperation« von Jurij Koch
Kamera: Jürgen Brauer
Schnitt: Erika Lehmphul
Ton: Wolfgang Höfer, Axel Martin-Andersen
Musik: Ralf Hoyer
Dramaturgie: Andreas Scheinert
Produktion: Horst Hartwig
Darsteller: Dagmar Manzel, Frank Stieren, Winfried Glatzeder, Eberhard Kirchberg, Christa Pasemann, Peter Prager, Sylvia Burza, MR Dr. Dirkpeter Schulze, Elisabeth Richter, Peter Bause u.a.
DEFA-Fotograf: Waltraut Pathenheimer
DEFA Studio Babelsberg GmbH 1991 © DEFA-Stiftung. All rights reserved.
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Verbotene Liebe
Georg ist 18 Jahre alt, auf dem Land aufgewachsen und ein Musterschüler, dessen Wechsel an die Erweiterte Oberschule mit angegliedertem Internat in der Großstadt längst vorprogrammiert war. Doch nun steht er vor Gericht; angeklagt wegen sexuellen Missbrauchs einer Minderjährigen. Rückblickend zeigt der Film die Liebesgeschichte zwischen dem 18-jährigen und der 13-jährigen Barbara, die sich schon von klein auf kennen. Erzählt wird von den ersten Annäherungen, der ablehnenden Haltung der Elternhäuser, den Anfeindungen der Nachbarskinder sowie der Macht- und Hilflosigkeit der Lehrer. Die laut Gesetz verbotene Liebe der beiden Hauptfiguren scheint jedoch stärker als alle äußeren Widerstände.
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VERBOTENE LIEBE bedient sich des shakespeareschen Romeo-und-Julia-Motivs und verlegt die Handlung in die Gesellschaft der DDR. In vielen kleinen Momenten gewährt die Produktion authentische Einblicke in das Familienleben der 1980er Jahre: Im heimischen Wohnzimmer ertönt nach Anschalten des Fernsehgeräts die Titelmelodie der US-amerikanischen TV-Serie Dallas, die ausschließlich im »Westfernsehen« zu sehen war; gegessen wird von Geschirr mit Zwiebelmustern und zu den Jugendweihefeierlichkeiten kommt die ganze Großfamilie zusammen. Generations- und Interessenkonflikte legt der Film schonungslos offen. Die Jugendlichen agieren opportun, unvorsichtig und dem Herzen folgend. Im Fall der Nachbarskinder bisweilen auch brutal und gefühllos.
Regisseur Helmut Dziuba (1933–2012) verfasste auch das Drehbuch und griff dabei auf Motive der Erzählung »Der Sündenfall« des Schriftstellers Helmut H. Schulz zurück. Die Verfilmung des Stoffes wurde bei der DEFA mehrere Jahre diskutiert und hinausgezögert. Die Dreharbeiten konnten erst 1989 beginnen. Gedreht wird zwischen dem 14. Juni und dem 1. September u.a. in der Polytechnischen Oberschule Ho Chi Minh (heutige Grundschule) in Berlin-Friedrichshagen. Weitere Aufnahmen entstehen im Oderbruch, in der brandenburgischen Ortschaft Genschmar und in Seelow. Premiere feiert VERBOTENE LIEBE erst nach dem Mauerfall am 19. April 1990 im Berliner Kino International. Das im Film verwendete einprägsame Lied »Er und sie« komponierte der Musiker Lutz Gerlach. Interpretiert wird der Song von der Sängerin Jacqueline Jacob, die 1986 bereits in Heiner Carows SO VIELE TRÄUME zu sehen war. Die Filmmusik verantwortete der aus zahlreichen Filmrollen bekannte Christian Steyer. Seit DER UNTERGANG DER EMMA (1973) komponierte Steyer fast ausnahmslos für alle Helmut-Dziuba-Produktionen.
Julia Brendler gibt in der Rolle der Barbara im Alter von 14 Jahren ihr Leinwanddebüt. Dziuba, der sich vom Talent der jungen Darstellerin begeistert zeigte, besetzt sie dann in seinem letzten DEFA-Film JANA UND JAN (1991) ein weiteres Mal in einer tragenden Rolle. Brendler kann sich anschließend als Schauspielerin etablieren und ist bis heute in vielen deutschsprachigen Kino- und Fernsehproduktionen zu sehen. Für Hans-Peter Dahm, der den Georg spielt, bleibt es die einzige Filmrolle. An der Seite der jugendlichen Protagonisten agieren bekannte Schauspieler wie Dietrich Körner, Heide Kipp, Peter Sodann und Karin Gregorek. Große Beachtung findet Gudrun Ritters Darstellung der Lehrerin. Filmkritikerin Renate Holland-Moritz lobt die Figurenzeichnung im Eulenspiegel »als Prototyp des gar nicht so selten guten DDR-Lehrers«. 1990 erhält Ritter auf dem letzten Nationalen Spielfilmfestival der DDR in Berlin den Preis für die beste weibliche Nebenrolle. Die heute als Politikerin bekannte Manuela Schwesig spielt – noch unter ihrem Mädchennamen Manuela Frenzel – einen kleinen Part als »Rivalin«.
Helmut Dziuba lernte sein Handwerk an der Moskauer Filmhochschule WGIK bei den Regielegenden Sergej Gerassimow und Michail Romm. Nach dem Studium kehrte er in die DDR zurück und übernahm 1963 eine Regie-Assistenz bei Frank Beyers KARBID UND SAUERAMPFER. Zischen 1968 und 1991 realisierte Dziuba im DEFA-Spielfilmstudio elf eigene Filme, die sich vornehmlich an ein junges Publikum richten. Mohr und die Raben von London, eine Adaption des gleichnamigen Jugendbuchs von Ilse und Vilmos Korn, wird 1968 sein erstes eigenes Spielfilmprojekt. In seinen retrospektiv als »proletarische Trilogie« bezeichneten Filmen ROTSCHLIPSE (1977), ALS UNKU EDES FREUNDIN (1980) und JAN AUF DER ZILLE (1985) widmet er sich Kinderschicksalen in der Weimarer Republik und den frühen Jahren des NS-Regimes. Vielfach greift er auch alltägliche Probleme von Kindern und Jugendlichen in der DDR auf. Mit SABINE KLEIST, 7 JAHRE… (1982) gelingt ihm ein internationaler Erfolg. Gesellschaftskritische Stoffe wie ERSCHEINEN PFLICHT (1983) bringen Dziuba jedoch auch Probleme mit dogmatischen Parteifunktionären. Dieser Film, in dem sich ein Mädchen kritisch mit der politischen Funktion ihres verstorbenen Vaters in der DDR auseinandersetzt, darf nur begrenzt ausgewertet werden; in manchen DDR-Bezirken wird seine Aufführung gänzlich untersagt. Nach dem Ende der DEFA gelingt es Dziuba nicht, seine Regiekarriere fortzusetzen. Mehrere Versuche, Stoffe ins Gespräch zu bringen, scheitern am Desinteresse der Produzenten und der Filmförderer. Ein letzter großer Erfolg wird Bernd Sahlings BLINDGÄNGER (2004), für den Dziuba das Drehbuch verfasst und der mit dem Deutschen Filmpreis prämiert wird.
Credits
Verbotene Liebe
DEFA-Studio für Spielfilme, Gruppe »Berlin«, 1989
Regie, Drehbuch und Szenarium: Helmut Dziuba
Literarische Vorlage: Erzählung »Der Sündenfall« von Helmut H. Schulz
Kamera: Helmut Bergmann
Schnitt: Monika Schindler
Ton: Klaus Tolstorf
Musik: Christian Steyer
Dramaturgie: Peter Jakubeit
Produktion: Uwe Kraft
Darsteller: Julia Brendler, Hans-Peter Dahm, Gudrun Ritter, Heide Kipp, Peter Sodann, Karin Gregorek, Rolf Dietrich, Dietrich Körner, Gert Gütschow, Bärbel Röhl u.a.
DEFA-Fotograf: Herbert Kroiss
DEFA-Studio für Spielfilme 1989 © DEFA-Stiftung. All rights reserved.
FFA-Förderung (Förderung Digitalisierung)
Banale Tage
Ost-Berliner Jugend in den späten 1970er-Jahren. Der Schüler Michael und der Werkzeuglehrling Thomas werden trotz unterschiedlicher sozialer Herkunft Freunde. Sie eint der Drang aus der Banalität des Alltags auszubrechen. Sie wehren sich gegen Bevormundung, das Gefühl der Nutzlosigkeit und die Verschwendung ihrer Lebenszeit. Sie wollen sich erproben und eigene Träume verwirklichen.
Film schauen
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BANALE TAGE basiert auf der gleichnamigen literarischen Vorlage des Schriftstellers Michael Sollorz. Das Buch soll im Herbst 1990 veröffentlicht werden, wozu es in der unwägbaren Wendezeit allerdings nicht kommt. Aufgespürt und für eine Verfilmung vorgeschlagen wird der Stoff durch den DEFA-Dramaturgen Timothy Grossmann. Regisseur Peter Welz orientiert sich in seiner surrealistischen Inszenierungsästhetik am Stil Frank Castorfs, der zu seinen künstlerischen Vorbildern zählt. Zwischen dem 23. Juni und dem 31. August 1990 wird in Berlin gedreht. Prominentester Drehort ist die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz.
Bereits Ende Januar 1991 gewinnt BANALE TAGE auf dem Filmfestival Max-Ophüls-Preis in Saarbrücken den Preis der Interfilm-Jury. Im Februar 1991 läuft der Film auf der Berlinale. Ein kleiner, allerdings kaum beachteter Kinostart gelingt erst im Januar 1992. Die Probleme der DDR-Jugend in den späten 1970er-Jahren wecken beim Publikum kurz nach dem Mauerfall kein großes Interesse mehr. Reinhild Steingröver kommt in ihrer Publikation Spätvorstellung. Die chancenlose Generation der DEFA (2016) zu dem Schluss: »Aus Perspektive eines Vierteljahrhunderts später ist BANALE TAGE ein wertvolles filmhistorisches Kunstwerk in seiner formal eigensinnigen Parodie des bevormundenden Paternalismus gegenüber der jüngsten Generation in den letzten Jahren der DDR. Diese Erkenntnis, aus Sicht der Betroffenen in aller Komplexität reflektiert, fehlte in der Nachwendezeit, fehlt bis heute.«
Banale Tage entsteht in der Künstlerischen Arbeitsgruppe »DaDaeR«, die 1990 als »Nachwuchsgruppe« unter Leitung des Produzenten Thomas Wilkening ins Leben gerufen wird und der zehn Prozent der jährlichen staatlichen Subventionen ans DEFA-Spielfilmstudio als Etat zur Verfügung stehen. Die Gründung der Gruppe ist das Ergebnis einer jahrelangen Auseinandersetzung mit der heranwachsenden DEFA-Regiegeneration, die ihre Ideen im Produktionsplan des Spielfilmstudios nur unzureichend vertreten sieht. Neben Welz’ BANALE TAGE produziert die Gruppe, die eigenständig über ihre Projekte entscheiden darf, auch Jörg Foths Satire LETZTES AUS DER DaDaeR (1990) und Herwig Kippings Farce DAS LAND HINTER DEM REGENBOGEN (1990/91). Die drei Filme eint ihre künstlerische Innovation und ihre stilistische Unangepasstheit an tradierte Erzählweisen und Ästhetiken des DEFA-Films.
Das filmische Interesse des Regisseurs Peter Welz (* 1963) wurde bereits früh geweckt. 1975 spielt er die Hauptrolle in Heiner Carows Ikarus. In Ralf Kirstens Antikriegsfilm ICH ZWING DICH ZU LEBEN (1977) folgt eine weitere Hauptrolle. Nach der Schulzeit beginnt Welz ein Regiestudium in Babelsberg. Es entsteht u.a. der mehrfach preisgekrönte Kurzfilm WILLKOMMEN IN DER KANTINE (1988) nach einem Drehbuch von Frank Castorf. Unsere Familie, nach einer Vorlage von Leander Haußmann, wird 1989 sein Diplomfilm. Anders als viele Kollegen darf Welz mit BANALE TAGE bereits kurz nach Beendigung seines Studiums seinen ersten eigenen Spielfilm bei der DEFA verwirklichen. 1995 wird er mit BURNING LIFE über zwei Outsiderinnen auf der Flucht für den Bundesfilmpreis nominiert. Danach sind seine Ideen kaum mehr gefragt, die Finanzierung eines weiteren Kinoprojekts gelingt Welz nicht und er dreht vorwiegend für verschiedene Fernsehanstalten.
Florian Lukas feiert in der Rolle des Michael im Alter von 17 Jahren sein Filmdebüt. Er kann sich in den 1990er-Jahren als gefragter Schauspieler etablieren. Für sein Engagement in GOOD BYE, LENIN! gewinnt er 2003 den Deutschen Filmpreis für die beste männliche Nebenrolle. Christian Kuchenbuch, der den Thomas spielt, wird ein gefragter Theaterschauspieler. Auch andere junge Darsteller aus BANALE TAGE, dazu zählen u.a. Alexander Schubert, Sven Lehmann und RP Kahl, werden im wiedervereinigten Deutschland gefragte Filmschaffende. In Nebenrollen sind etablierte Film- und Theaterschauspieler der DDR zu sehen, darunter Bärbel Bolle, Ernst-Georg Schwill, Jörg Panknin, Peter Prager und Kurt Naumann. Einen Gastauftritt hat der kurz nach Ende der Dreharbeiten verstorbene Schriftsteller Ronald M. Schernikau, der noch zu Zeiten der geschlossenen Grenzen aus der Bundesrepublik in die DDR übergesiedelt war und von Freunden als »der letzte Kommunist« bezeichnet wurde. Als Bluesband tritt die populäre Musikgruppe Keimzeit auf.
Credits
Banale Tage
DEFA Studio Babelsberg GmbH, Gruppe »DaDaeR«, 1990
Regie: Peter Welz
Szenarium: Michael Sollorz
Literarische Vorlage: Erzählung »Banale Tage« von Michael Sollorz
Kamera: Michael Schaufert
Schnitt: Rita Hiller
Ton: Jürgen Mathuschek, Werner Schulze, Brigitte Pradel
Musik: Bert Wrede
Dramaturgie: Timothy Grossmann
Produktion: Ralph Retzlaff
Darsteller: Florian Lukas, Christian Kuchenbuch, Kurt Naumann, Karin Mikityla, Bärbel Bolle, Erns-Georg Schwill, Jörg Panknin, Astrid Meyerfeldt, Simone Walter, Anita Herbst u.a.
DEFA-Fotograf: Herbert Kroiss
DEFA Studio Babelsberg GmbH 1990 © DEFA-Stiftung. All rights reserved.
FFA-Förderprogramm Filmerbe (Förderung Digitalisierung)
Material für die Bildungsarbeit
Wurzelsuche
Vermittelt durch Filme ein verschwundenes Land entdecken
Von Klaus-Dieter Felsmann
Sich mit Geschichte zu beschäftigen heißt, Vorgänge der Vergangenheit zu deuten, ihrer zu gedenken und sich über den Charakter des zeitlichen Wandels klar zu werden. In der Konsequenz geht es dabei darum, sich Erkenntnisse über die Auswirkungen historischer Prozesse auf die eigene Gegenwart und darüber hinaus auf zukünftige Entwicklungen zu verschaffen.
Die Auseinandersetzung mit Geschichte findet dabei immer unter dem Blickwinkel eigener Lebenssichten statt. In der Folge können sich sehr unterschiedliche Perspektiven auf historische Abläufe ergeben. Oft lassen sich diese nur schwer vereinbaren. Wichtig ist aber gerade unter dem Aspekt eines gegenwärtigen gesellschaftlichen Gelingens, dass man konträre Auffassungen verstehen und einordnen kann. Dabei sollte idealerweise in der Diskussion bezüglich unterschiedlicher Interpretationen eine gemeinsame weiterreichende Einsicht gefunden werden.
Die DDR als Objekt vielfältiger Deutungen
Hinsichtlich der jüngeren deutschen Zeitgeschichte haben sich in den dreißig Jahren nach der Wiedervereinigung sehr unterschiedliche Interpretationen und Erzählungen gegenüber jenem gesellschaftlichen Konstrukt verfestigt, das zwischen 1949 und 1990 östlich der Elbe als eigenständiger Staat – DDR – existierte.
Der Verleger und Bürgerrechtler Klaus Wolfram meinte 2019 auf einer Veranstaltung der Berliner Akademie der Künste, das Problem sei, dass nach 1989 aus einer ostdeutschen Generaldebatte ein westdeutsches Selbstgespräch über Ostdeutsche geworden wäre. Das ist sicher eine zugespitzte Meinung, der man in der Absolutheit nicht zustimmen muss, doch sie macht sehr deutlich auf einen real vorhandenen Dissens aufmerksam. Das bestätigt auf andere Weise auch der Sozialwissenschaftler Thomas Ahbe, der bereits 2011 in einer in New York erschienenen Publikation herausgearbeitet hatte, dass in deutschen Medien DDR-Geschichte vorwiegend aus westdeutscher Perspektive beschrieben werde. Dadurch sei eine gesamte nach dem Mauerfall geborene Generation geprägt worden. Vielfach führt das für die Betroffenen zu Konflikten, weil Eltern und Großeltern mit ganz anderen Erzählungen aufwarten.
Konträre mediale Deutungen
2006 drehte Florian Henckel von Donnersmarck mit DAS LEBEN DER ANDEREN einen Film, in dessen Mittelpunkt ein Stasispitzel steht. Das war ein bemerkenswertes Drama über die Themen Verrat, Opportunismus und eine vormundschaftliche Gesellschaft. Weil aber der Westdeutsche Donnersmarck und ein Teil der Kritik meinten, damit hätten sie eine Blaupause für die DDR-Gesellschaft geschaffen, schlug ihnen von östlich sozialisierten Künstlern und Intellektuellen heftige Kritik entgegen. Man warf dem Film das Bedienen billigster Klischees vor. Im Gegensatz dazu erzählte der Ostdeutsche Leander Haußmann 1999 in SONNENALLEE detailgenau und auf komische Weise über eine DDR, in der zwar Schüsse an der Mauer und Stasispitzel gab, ansonsten das Leben aber ausgesprochen gemütlich schien. Der Film wurde von den einen als Verharmlosung der Diktatur gesehen, von der Mehrheit im Osten jedoch als Bestätigung dafür, dass ihr privater Alltag letztendlich doch nicht so dürftig war. Als verlässliche Quelle für konkrete historische Abläufe ist auch dieser Film nur bedingt tauglich. Beide Filme zeigen einen interessanten Blick auf die Geschichte. Gleichzeitig sind sie in erster Linie subjektive, vielleicht sogar interessengeleitete, rückblickende Interpretation.
Der Blick von innen
Filme sind sowohl Kunst und Unterhaltung als auch Ausdruck ihrer Zeit. So hat es der Filmsoziologe Siegfried Kracauer herausgearbeitet. Insofern erscheint es lohnenswert, wenn man unmittelbar etwas über eine Zeit wissen will, sich mit Filmen aus dieser Zeit zu beschäftigen. Hier gibt es zwar wie in jedem Kunstwerk auch eine Interpretation, doch die erfolgte durch Filmemacher, die selbst aus der Zeit heraus dachten, über die sie erzählen. Insofern sind nicht nur die Filme selbst Zeitdokument, sondern auch die Art und Weise, wie über die vormalige Gegenwart erzählt wird. Unter dem Motto »DEFA-Wendejugend« finden sich in der vorliegenden Edition sechs Filme, die nicht nur in authentischer Form Bilder einer verflossenen Gesellschaft vermitteln, sondern die unmittelbar dazu anregen, eigene Haltungen und Lebenssichten mit denen einer früheren Generation in Beziehung zu setzen. Welche Ideale und Träume werden formuliert, auf welche objektiven und subjektiven Widerstände stoßen diese und welche Konfliktlösungsmuster werden artikuliert. Inwiefern wirken die Fragen in die heutige Zeit hinein, wo sind sie veraltet, wo sind sie aktuell und wodurch unterscheiden sich gesellschaftliche Strukturen, wenn es darum geht, mit den Konflikten umzugehen?
Filmsehen als aktiver Vorgang
Der Pädagoge Adolf Reichwein, der 1944 von den Nationalsozialisten ermordet worden ist, war bereits in einer sehr frühen Phase der Filmgeschichte davon überzeugt, dass Filme eine hervorragende Anregung sein können, um junge Menschen zum Selbstdenken zu motivieren. Insofern sollten Inhalte nicht als fertige Mahlzeiten vorgesetzt werden, sondern als Impuls zum Mitdenken, Forschen und Vergleichen mit der eigenen Umwelt. Der Rezipient folgt nicht nur passiv den Bildern, sondern er interpretiert den Film symbolisch in Bezug auf seine Umwelt. Filme ergänzen das, was unmittelbar nicht erlebt werden kann. Sie bereichern insofern unser Wissen hinsichtlich anderer Kulturen genauso, wie gegenüber der Geschichte. Allerdings, so meint Reichwein, gehe es nicht zuerst darum, die Materie kognitiv zu durchdringen, sondern sie emotional zu erleben. Die vorliegenden Filme, in denen jeweils jugendliche Protagonisten im Mittelpunkt stehen, ermöglichen diesbezüglich gerade für Heranwachsende interessante Anknüpfungspunkte.
Themenschwerpunkte
für die Bildungsarbeit
Jugendzeit
In allen Filmen der vorliegenden Edition stehen Jugendliche im Zentrum der Handlung. Sie repräsentieren somit eine Generation, die heute, dreißig Jahre später, zu den prägenden gesellschaftlichen Persönlichkeiten gehören. Das belegen nicht nur viele der Schauspielerinnen und Schauspieler, die seinerzeit erstmals in diesen Spielfilmen auftraten, sondern das gilt für alle Lebensbereiche, ganz gleich in welcher Region Deutschlands.
Von daher bieten die Filme interessante Einblicke hinsichtlich der Ideale, der Probleme und der Lebensformen, durch die diese Jugendlichen sozialisiert wurden.
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Welche Ziele verfolgen die Protagonisten?
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Wie verlief die Suche nach Identität und Orientierung?
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Welche Widerstände galt es zu überwinden? Auf welchem Weg konnte das geschehen? Woran scheiterten Lebensträume?
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Welche Bildungschancen gab es? Worin bestanden berufliche Perspektiven?
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Wodurch zeichnen sich die sozialen Strukturen innerhalb der Jugendgruppen aus?
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Was erzählen die Filme über Generationskonflikte?
Lebensräume
Die Spielfilme der DEFA konnten zwar nicht alle gesellschaftlichen Konfliktfelder aufgreifen, doch sie bemühten sich auf der Bildebene um eine große soziale Genauigkeit. Das was der Zuschauer zu sehen bekam, sollte hinsichtlich der sozialen Genauigkeit als authentisch wahrgenommen werden. Mit Ausnahme von BANALE TAGE, wo es einen Rückblick in die 1970er Jahre gibt, zeichnen alle Filme DDR-Alltag zum Ende der 1980er Jahre.
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Welche Lebens- und Wohnverhältnisse zeigen die Filme?
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Welche Eindrücke vermitteln die Ansichten von Städten und Dörfern?
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Welche Rolle spielen Bildung und Kultur?
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Was wird hinsichtlich der Konsumwelt deutlich?
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Welchen Stellenwert nahm die Arbeit ein? Was wird über die Arbeitswelt vermittelt?
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Welche Vergnügungen und Genüsse waren den Menschen wichtig?
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Welch Sozialstrukturen werden in den Filmen deutlich?
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Wie verhält sich die Elterngeneration gegenüber staatlicher Bevormundung?
Umwelt
Die DDR verstand sich als ein Industriestaat. Umweltprobleme wurden in diesem Kontext gern verdrängt. Von daher konnten solche Fragen auch erst in der Endzeit dieses Staates direkt in DEFA-Spielfilmen angesprochen werden.
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Wie zeigt sich in den Filmen der Widerspruch zwischen Produktion und Umwelt?
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Welche Motive haben die Jugendlichen, sich für die Umwelt einzusetzen?
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Welcher Symbolwert wird seltenen Tieren und insbesondere Bäumen zugeschrieben?
Liebe und Zärtlichkeit
Die Liebe ist ein zentrales Thema innerhalb der gesamten Filmgeschichte. So auch bei der DEFA. Bei den vorliegenden Jugendfilmen geht es naturgemäß um jeweils erste Erfahrungen einer intensiven Beziehung.
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Wie werden die Liebesbeziehungen in den Filmen motiviert und dargestellt?
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Wie verändern erste Liebeserfahrungen die Persönlichkeiten der Protagonisten?
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Welche Voraussetzungen werden für Erfüllung oder Scheitern von Liebe deutlich?
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Die Filme gehen unbefangen mit der Darstellung von Nacktheit um. Welche Funktion hat dies innerhalb der Filmgeschichten?
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Wodurch ist der Wandel begründet, dass es in heutigen Jugendfilmen kaum noch Nacktheit gibt?
Fernweh und Nähe
Erwachsenwerden hat mit Aufbruch zu tun. Dieses Thema spielt in allen Filmen der Edition eine zentrale Rolle.
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Wodurch wird Aufbruchssehnsucht in den Filmen motiviert?
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Worin zeigt sich, dass Fernweh in der DDR nur eingeschränkt Erfüllung finden konnte?
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Wie steht in den Filmen der Aufbruchswillen mit der Vorstellung von Heimat in Beziehung? Was heißt diesbezüglich »Wurzelsuche«?
Impressum
Redaktion Philip Zengel
Design Christin Albert
absolut Medien, Am Hasenbergl 12, 83413 Fridolfing
Tel.: 030 285 39 87 0
Fax: 030 285 39 87 26
Texte zur Filmreihe
DEFA
Wende
jugend
Jugend, Aufbruch, Zeitenwende
Neu restauriert und digitalisiert: DEFA-Filme aus den Jahren 1988-91
Philip Zengel (März 2020)
In der Vorwende- und Wendezeit entstand bei der DEFA eine Reihe von Filmen mit starken jugendlichen Hauptprotagonisten. Dazu zählen Peter Kahanes VORSPIEL (1987), Helmut Dziubas VERBOTENE LIEBE (1989), Rolf Losanskys ABSCHIEDSDISCO (1989), Jürgen Brauers TANZ AUF DER KIPPE (1990), Jörg Foths BIOLOGIE! (1990) und Peter Welz’ BANALE TAGE (1990).
Die Produktionen stehen in der Tradition gesellschaftskritischer DDR-Gegenwartsfilme und waren in dieser offenen, gesellschaftsanalytischen Form erst in den Wendemonaten möglich. Die aufgegriffenen Themen und Konflikte sind allerdings auch heute noch aktuell – sie können aus ihrer Entstehungszeit herausgelöst diskutiert werden.
So beschäftigt sich VORSPIEL mit dem Heranwachsen in einer tristen Kleinstadt, der ersten Liebe und beruflichen Träumen. Dabei ist die »eingesperrte« DDR in vielen Bezügen sichtbar, die Agonie der Gesellschaft ist mit Händen zu greifen.
Im Mittelpunkt von VERBOTENE LIEBE stehen die gesetzlich verbotene Zuneigung zwischen einer 13-jährigen Schülerin und einem 18-jährigen Schüler, sowie die Unsicherheit des elterlichen und schulischen Umfelds im Umgang mit dem jungen Paar. ABSCHIEDSDISCO greift mit starken, symbolhaften Bildern den Verlust von Heimat durch den Braunkohleabbau und der ersten großen Liebe auf. Moralisches Handeln und der Wunsch nach Individualität sind Kernthemen in TANZ AUF DER KIPPE. In BIOLOGIE! kämpft eine junge Schülerin für den Schutz der Umwelt und die Bewahrung eines Naturschutzgebiets – gegen einen mächtigen Widersacher, der zur politischen Nomenklatura gehört. Freundschaft und das Aufbegehren einer heranwachsenden Generation gegen gesellschaftlich etablierte Strukturen sind zentrale Motive in dem surrealistisch verfremdeten Film BANALE TAGE, der sich eng an die Inszenierungsästhetik von Frank Castorf hält, dem deutlichen Vorbild des Regisseurs Peter Welz.
Die jungen Hauptprotagonisten der Filme agieren in einem Spannungsfeld von Gefühlen des Aufbruchs und Aufbäumens auf der einen und Resignation und Entmutigung auf der anderen Seite. Vermittelt wird ein Gefühl für die Wendezeit aus jugendlicher Perspektive: Was bedeutete es Ende der 1980er Jahre in der DDR erwachsen zu werden? Welche Themen, Gedanken, Sorgen und Nöte beschäftigten die Jugendlichen? Wie gestaltete sich ihr Alltag? Was bewegte sie jenseits von FDJ und Schule? Wie war ihr Verhältnis zur Eltern-Generation? In welcher Form war Auflehnung möglich? Wie funktionierte staatliche Repression?
Die zum Großteil 1989/90 produzierten Filme kamen in einer Zeit des Umbruchs und der Ungewissheit in die Kinos. Nachdem die Drehbücher und Szenarien aufgrund ihrer zum Teil deutlichen DDR-Kritik mitunter jahrelang nicht realisiert werden konnten, wurden die Stoffe nun von den politischen Entwicklungen der Wendejahre eingeholt. Zum Teil waren noch während der Dreharbeiten umfangreiche Änderungen am Drehbuch nötig. Zwar blieben den Wende-Jugendfilmen, bedingt durch ihren Entstehungszeitraum – anders als früheren DEFA-Jugendfilmen wie INSEL DER SCHWÄNE (1982) oder ERSCHEINEN PFLICHT (1983) – politische Einmischungen und nachträgliche Zensur erspart, jedoch fanden sie im Gegensatz zu ihren Vorgängern nur ein eingeschränktes Publikum. Themen, die ein paar Jahre zuvor ein politisches Erdbeben in der DDR ausgelöst hätten, hatten 1990 bereits stark an Relevanz eingebüßt. In gesellschaftlichen Diskursen und bei der Meinungsbildung spielten die Filme keine Rolle mehr. Wer sich seinerzeit einen Kinobesuch leistete, wollte dem Alltag entfliehen und nicht mit den alltäglichen Problemen der Jugend eines sich in Auflösung befindenden Staates konfrontiert werden – und für Filmstoffe aus einem untergegangenen Land bestand kein Markt. Die Filme wurden zwar in Programmkinos und auf Filmfestivals präsentiert – u.a. eröffnete TANZ AUF DER KIPPE 1991 das Panorama der Berlinale – doch das breite Publikum ließ sich nicht mehr auf diese Filme ein.
Für die Filmschaffenden waren die Arbeiten vielfach das letzte Filmprojekt bei der DEFA, die 1992 endgültig abgewickelt wurde. Die Filmemacher drehten in Erwartung einer unsicheren Zukunft in einem neuen gesellschaftspolitischen System mit einer Filmbranche ohne Festanstellung und ohne gesicherte Filmfinanzierungen. Waren es vorher politische Gründe, die die Künstler an der Realisierung ihrer Projekte hinderten, fürchteten sie nun wirtschaftliche Beeinträchtigungen. Tatsächlich waren ihre Expertise und ihre Ideen im wiedervereinigten Deutschland oftmals nicht mehr gefragt. Für viele endete mit der DEFA auch die künstlerische Laufbahn. Das galt nicht nur für etablierte und für ihre Jugend- und Kinderfilme vielfach gewürdigte Regisseure wie Helmut Dziuba, sondern auch für hoffnungsvolle Talente der vierten DEFA-Regiegeneration wie Jörg Foth oder Peter Welz, die retrospektiv auch als die »chancenlose Generation der DEFA« (Steingröver, 2014) bezeichnet wird.
Anders gestaltete sich die Zukunft für die jungen Schauspielerinnen und Schauspieler, die in den Wendefilmen jeweils ihre erste große Hauptrolle spielten. Für sie waren die Produktionen der Beginn einer erfolgreichen Karriere im gesamtdeutschen Film- und Fernsehgeschäft. Dazu zählen Hendrik Duryn (u.a. bekannt in der Titelrolle der RTL-Serie DER LEHRER), Julia Brendler (u.a. NORD NORD MORD), Stefanie Stappenbeck (u.a. POLIZEIRUF 110 und EIN STARKES TEAM), Frank Stieren (u.a. DIE RETTUNGSFLIEGER) oder Florian Lukas (u.a. WEISSENSEE und GOOD BYE, LENIN!). Die DEFA war für sie ein künstlerisches Sprungbrett; ihre ersten Filme wieder oder neu zu sehen, kann für ihre Fans eine durchaus lohnende Entdeckungsreise sein.
Alle genannten Filme wurden in den vergangenen Monaten durch die DEFA-Stiftung digital restauriert und liegen nun in bestmöglicher Bild- und Tonqualität vor. Rund dreißig Jahre nach ihrer Erstaufführung verdienen sie es, neu bewertet und als politisch wie ästhetisch spannende Zeitzeugnisse der Vergessenheit entrissen zu werden.
BIOLOGIE!
DEFA-Studio für Spielfilme, Gruppe »Babelsberg«, 1990
Regie: Jörg Foth
Szenarium: Gabriele Kotte, Wolfgang Müller
Literarische Vorlage: Roman »Die Wasseramsel« von Wolf Spillner
Kamera: Michael Göthe
Schnitt: Haike Brauer
Ton: Günter Witt, Günter Springer
Musik: Christoph Theusner
Dramaturgie: Erika Richter
Produktion: Alexander Gehrke
Darsteller: Stefanie Stappenbeck, Cornelius Schulz, Uta Reckzeh, Robert Arnold, Carl Heinz Choynski, Katrin Klein, Peter Prager, Heide Kipp, Horst Rehberg, Axel Werner u.a.
DEFA-Fotograf: Dieter Jaeger
Copyright: DEFA-Studio für Spielfilme 1990 © DEFA-Stiftung. All rights reserved.
FFA-Förderprogramm Filmerbe (Förderung Digitalisierung)
Biologie!
Philip Zengel (März 2020)
Im letzten Schuljahr an der Oberschule unternimmt die 15-jährige Ulla gemeinsam mit ihrer Klasse und ihrem Lehrer eine Exkursion ins Landschaftsschutzgebiet. Dabei entdeckt sie, dass dort eine Datsche gebaut und eine Forellenzucht betrieben wird. In dem Mädchen regt sich Widerstand. Sie ist nicht bereit, die Eingriffe in die Natur hinzunehmen und setzt für ihre Ideale die eigene Zukunft bedingungslos aufs Spiel. Während sich viele Jugendliche für Natur- und Artenschutz einsetzen, stößt ihr Engagement in der Erwachsenengeneration weitgehend auf Unverständnis. Wenn Ulla ihrer Mutter energisch entgegenruft: »Sollen wir denn einfach zusehen, wie unter dem Siegel der Verschwiegenheit alles in die Binsen geht?«, hat das durchaus Parallelen zur schwedischen Schülerin Greta Thunberg, die rund dreißig Jahre nach der Filmpremiere von BIOLOGIE! mit Ihrem Schulstreik fürs Klima und der daraus hervorgehenden Fridays for Future-Bewegung weltweit für Aufsehen sorgt.
BIOLOGIE! ist jedoch nicht nur ein Plädoyer für den Umweltschutz, sondern auch eine Teenager-Liebesgeschichte. Ulla verliebt sich in den computerbegeisterten Winfried, den Sohn der Familie Tübner, die im Landschaftsschutzgebiet baut. Unter Ullas Einfluss beginnt auch er gegen die Elterngeneration zu rebellieren. »Du redest doch alle tot mit deinen ewig geschliffenen Reden. Ich kann das nicht mehr hören. Eure Augenauswischerei – Sie kotzt mich an!«, wirft er seinem Vater an den Kopf und stellt sich damit auf die Seite der jungen Umweltschützerin.
Hauptdarstellerin Stefanie Stappenbeck begann bereits als Schülerin mit der Schauspielerei. Ihr Debüt feierte die 1974 in Potsdam Geborene 1986 in der Fernsehproduktion DER ELTERNTAUSCHLADEN (R: Carl-Hermann Risse). Zwei Jahre später spielte sie die Anette im weihnachtlichen TV-Kultfilm DIE WEIHNACHTSGANS AUGUSTE (R: Bodo Fürneisen). Die Rolle der Ulla in BIOLOGIE! war ihr erstes Engagement in einem Kinofilm. In den Erwachsenenrollen wirken bekannte Gesichter der DEFA mit, u.a. Carl Heinz Choynski als Lehrer Hansen; weiterhin Peter Prager, Heide Kipp und André Hennicke. In Cameo-Auftritten sind Dokumentarfilmregisseurin Helke Misselwitz und Dramaturgin Erika Richter zu sehen.
BIOLOGIE! basiert auf der literarischen Vorlage Die Wasseramsel des Schriftstellers und Naturfotografen Wolf Spillner. Eine Verfilmung wurde bereits ab 1982 bei der DEFA diskutiert, jedoch mehrfach zurückgewiesen. Im Februar 1989 lehnte Generaldirektor Hans Dieter Mäde den Stoff ein letztes Mal ab. Nachdem Mäde – offiziell aus gesundheitlichen Gründen – seine Leitungsaufgaben nicht mehr wahrnahm, entstand ein Entscheidungsvakuum, in dessen Folge auch die Wasseramsel-Adaption 1989 noch bewilligt wurde.
Regisseur Jörg Foth (* 1949) hatte die DEFA nach Auslaufen seines Nachwuchsvertrags zum 1. Januar 1989 eigentlich bereits enttäuscht verlassen, um sich dem Theater zu widmen. Ihm war nach seinem Debütfilm DAS EISMEER ruft (1983) lange Zeit kein eigenes Spielfilmprojekt anvertraut worden. Die von ihm gemeinsam mit Regisseur Tran Vu realisierte Co-Produktion der DEFA mit Vietnam, DSCHUNGELZEIT (1987), verschwand nach wenigen Tagen aus den Kinos, nachdem sich die Vietnamesen von dem Projekt distanziert hatten. Erika Richter überzeugte Foth im Frühjahr 1989 zur Rückkehr, um Die Wasseramsel zu verfilmen. Die Dreharbeiten in Brandenburg begannen am 16. August und endeten am 1. November 1989 wenige Tage vor dem Mauerfall. Die tagesaktuellen gesellschaftspolitischen Entwicklungen im Herbst 1989 drängten die thematische Brisanz des Films, der die Wendeereignisse nahezu unbeachtet lässt, zurück. BIOLOGIE! wurde kaum in den Kinos gezeigt. Renate Kruppa schrieb am 22. September 1990 nach der offiziellen Filmpremiere im Kammerkino Schwerin in der Schweriner Volkszeitung: »Noch vor einem Jahr wäre der kritische Streifen sicher eine Sensation gewesen, heute erscheint er wie ein Traum von gestern.«
Die Band, die im Film auf der Messe der Meister von morgen (MMM) mit dem Lied »Langeweile« der Gruppe Pankow auftritt und sich für BIOLOGIE! The Breads nannte, besteht im Kern aus den Mitgliedern einer in den 1990er Jahren unter dem Namen The Inchtabokatables bekannten Berliner Band. Geiger und Sänger der Gruppe waren bereits in Jörg Foths DEFA-Dokumentarfilm ACH DU JEH – EIN HANS DAMPF UND WURST DOKUMENT (1989) zu sehen. BIOLOGIE! zeigt weiterhin einen Ausschnitt des DEFA-Augenzeugen 24/1950, in dem der 1988 verstorbene britische Journalist John Scott Peet prophezeit: »Einmal wird die Zeit kommen, wo alle Journalisten ehrlich und anständige Menschen sein können, statt wie heutzutage die Füllfeder der Kriegshetze.« Peet war 1950 in die DDR übergesiedelt und dort zunächst mehr als zwei Jahrzehnte Chefredakteur des Democratic German Report. 1975 wurde die Zeitschrift, die sich zunehmend DDR-kritisch äußerte, auf politische Weisung eingestellt und Peet ging in den Ruhestand.
ABSCHIEDSDISCO
DEFA-Studio für Spielfilme, Gruppe »Berlin«, 1989
Regie und Drehbuch: Rolf Losansky
Szenarium: Joachim Nowotny
Literarische Vorglage: Erzählung »Abschiedsdisco« von Joachim Nowotny
Kamera: Helmut Grewald
Schnitt: Ilona Thiel
Ton: Brigitte Pradel, Wolfgang Großmann
Musik: Reinhard Lakomy
Dramaturgie: Werner Beck
Produktion: Harald Fischer
Darsteller: Holger Kubisch, Dana Brauer, Susanne Saewert, Horst Schulze, Jaecki Schwarz, Ellen Helwig, Fritz Marquardt, Daniela Hoffmann, Anneliese Matschulat, Wolfgang Winkler u.a.
DEFA-Fotograf: Rigo Dommel
Copyright: DEFA-Studio für Spielfilme 1989 © DEFA-Stiftung. All rights reserved.
FFA-Förderung (Förderung Digitalisierung)
Abschiedsdisco
Philip Zengel (März 2020)
»Euch wird die Luft knapp werden, wenn Eure Zeit gekommen ist«, mahnt ein alter Kauz den 15-jährigen Hauptprotagonisten Henning, der den Unfalltod seiner Freundin Silke verarbeiten muss und zeitgleich feststellt, wie die Heimat seiner Vorfahren vor seinen Augen der Braunkohleförderung geopfert wird. Umstürzende Bäume stehen in der Produktion, die sich einer symbolhaften Filmsprache bedient, sinnbildlich für die verschwindenden Erinnerungen an eine vergangene Zeit.
Gleich zu Beginn des Films stoppt Hennings Vater, der im Zuge der Kohleförderung für die notwenigen Räumungen der betroffenen Ortschaften zuständig ist, eine Discoveranstaltung der Dorfjugend und beendet damit eine Zeit der Unbekümmertheit. Henning beginnt zu reflektieren, wird kritischer, wehrt sich gegen das Verdrängen und begehrt auf. »Man muss nicht immer machen, was die Alten für richtig erklären«, stellt er im Verlauf des Films fest und fragt seinen Vater: »Machen wir unsere Welt nicht kaputt?« Henning steht damit exemplarisch für eine DDR-Jugend, die sich ihre Zukunft in den 1980er-Jahren nicht mehr diktieren lassen möchte. Abschied – von der ersten Liebe, der vertrauten Heimat, der unbeschwerten Jugend – lautet das zentrale Motiv dieses Rolf-Losansky-Films.
ABSCHIEDSDISCO zeigt das fiktive sterbende Dorf Wussina (aus dem Wendischen für Wildnis) und die verschwindende malerische Natur in dessen Umgebung. Wussina fungiert als Sinnbild für die vielen im Zuge des DDR-Braunkohletagebaus abgebaggerten Ortschaften. Der Film weist auf die ökologischen und sozialen Folgen der Energiepolitik hin. Eine Problematik, die in dem sozialistischen Staat nur sehr vorsichtig bis gar nicht thematisiert wurde. Über den Zeitraum eines knappen Jahrzehnts konnte die gleichnamige literarische Vorlage von Joachim Nowotny nicht verfilmt werden. Bereits 1981 wurde das Filmszenarium diskutiert und zurückgewiesen, die folgende Überarbeitung wurde 1983 erneut abgelehnt. Die Stellungnahme der HV Film zum Rohdrehbuch 1986 schließt mit den Worten: »Es wird eine Änderung der Arbeitskonzeption empfohlen, bevor weitere Bearbeitungsschritte eingeleitet werden. Sollte eine solche Änderung nicht möglich sein, muss von staatlicher Seite die Einstellung der Arbeit an diesem Stoff durch Weisung herbeigeführt werden.« 1989 darf das Projekt doch realisiert werden.
Die Dreharbeiten fanden unter anderem in der Ortschaft Werbelin bei Delitzsch statt. Mehrfach ist die markante Dorfkirche im Film zu sehen. Der – aufgrund der für die Region einmaligen kreisförmigen Häuseranordnung um den Dorfplatz – unter Denkmalschutz stehende Ort wurde 1992 begleitet von großen Protesten abgebaggert, obwohl die Stilllegung des Tagebaus Delitzsch-Südwest bereits beschlossene Sache war. Weitere Aufnahmen entstanden in den ebenfalls devastierten Orten Schladitz und Breunsdorf. Seine Premiere feiert ABSCHIEDSDISCO am 5. April 1990 im Berliner Kino International. Der Stoff, der in den 1980er-Jahren in der DDR vermutlich zu vielen Diskussionen angeregt hätte, hat nach dem Mauerfall an Schlagkraft eingebüßt und findet kaum Publikum.
Für Laiendarsteller Holger Kubisch bleibt die Rolle des Henning Handschuh das einzige Filmengagement. In weiteren Rollen sind unter anderem die in den 1990er- und 2000er-Jahren als Hallenser Polizeiruf-Kommissare populären Schauspieler Jaecki Schwarz und Wolfgang Winkler zu sehen. ABSCHIEDSDISCO ist bis in die Nebenrollen prominent besetzt. So spielen bekannte Darsteller wie Horst Schulze und Gerhard Rachold. Für Rachold, der in mehreren Losansky-Filmen kleine Rollen übernahm, ist es nach einer mehr als 30-jährigen künstlerischen Laufbahn der letzte Filmauftritt. Der bekannte Komponist Reinhard Lakomy (u.a. »Der Traumzauberbaum«) zeichnete für die Filmmusik verantwortlich. Auffallend ist die Verwendung der New-Wave-Songs »Faces« und »Fee der Nacht« der Gruppe Datzu um die Greifswalder Sängerin Anett Kölpin aus dem 1989 bei Amiga erschienen Album »Bist du noch wach?«
Regisseur Rolf Losansky (1931–2016) inszenierte von 1963 bis 1992 insgesamt 17 Spielfilme bei der DEFA, die sich vornehmlich an ein junges Publikum richten. Das ihm gewidmete und von Hans-Dieter Tok verfasste Kapitel in dem von Rolf Richter 1981 herausgegeben Band »DEFA-Spielfilm-Regisseure und ihre Kritiker« trägt die Überschrift »Von der Schönheit und Schwierigkeit erwachsen zu werden und erwachsen zu sein«. Der Titel zollt der Tatsache Tribut, dass es Losansky über einen Zeitraum von drei Jahrzehnten gelungen war, Probleme und Herausforderungen der heranwachsenden Generationen filmisch aufzugreifen, ohne dabei auf eine unterhaltende Erzählung zu verzichten. »Ich will den Unterricht vom Vormittag nicht am Nachmittag mit meinen Filmen fortsetzen«, sagte der Regisseur in einem 2002 für die DEFA-Stiftung geführten Zeitzeugengespräch. Zu den bekanntesten Werken des Regisseurs zählen MORITZ IN DER LITFASSSÄULE (1983), WEISSE WOLKE CAROLIN (1984) und DAS SCHULGESPENST (1986). Mit … VERDAMMT ICH BIN ERWACHSEN verfilmte Losansky 1974 schon einmal eine literarische Vorlage von Joachim Nowotny. Mit dem Ende der DEFA waren seine filmischen Ideen kaum mehr gefragt, und ihm gelangen nur noch wenige Filmprojekte.
VORSPIEL
DEFA-Studio für Spielfilme, Gruppe »Roter Kreis«, 1987
Regie: Peter Kahane
Szenarium: Thomas Knauf, Peter Kahane
Kamera: Andreas Köfer
Schnitt: Ilse Peters
Ton: Hans-Henning Thölert
Musik: Tamás Kahane
Dramaturgie: Christel Gräf
Produktion: Uwe Kraft
Darsteller: Hendrik Duryn, Susanne Hoss, Antje Straßburger, Ahmad Mesgarha, Thomas Laudzim, Karin Schröder, Hermann Beyer, Daniela Dittberner, Nora Galk, Arianne Borbach u.a.
DEFA-Fotograf: Klaus Goldmann
Copyright: DEFA-Studio für Spielfilme 1987 © DEFA-Stiftung. All rights reserved.
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Vorspiel
Philip Zengel (März 2020)
Prolog eines Stückes; Probe vor der eigentlichen Herausforderung; Vorsprechen für die Schauspielschule; Zärtlichkeiten vor dem Geschlechtsverkehr; oder ganz allgemein: das, was vor dem Wesentlichen kommt – Der Filmtitel VORSPIEL ist vielfältig interpretierbar und alle Lesarten haben für diesen DEFA-Film ihre Berechtigung.
Eine Gruppe junger Leute in einer ostdeutschen Kleinstadt. Die Umgebung wirkt trostlos, die Häuser sind grau in grau. Die Jugendlichen warten darauf, dass etwas passiert. Sie spielen Streiche und entdecken erste Gefühle füreinander. Im Mittelpunkt steht der treuherzige Dekorationslehrling Tom, der Hals über Kopf in die neu zugezogene Corinna verliebt ist und ihr versucht zu imponieren. Gemeinsam mit ihr probt er für die Schauspielaufnahmeprüfung Kleists »Käthchen von Heilbronn«. Die melancholische Szenerie wird immer wieder durch Komisches gebrochen, etwa wenn Tom eine Schaufensterpuppe wie Corinna ankleidet oder sich von seinem Rivalen Major das ABC der Verführung in einem abgewrackten Auto erklären lässt. Die Selbstfindungsprozesse der jungen Helden erhalten so einen unterhaltsamen Charme.
An den Berufswünschen der Jugendlichen manifestieren sich Generationskonflikte: »Nichts von dem du geträumt hast, ist Wirklichkeit geworden«, wirft Corinna ihrem Vater vor, als dieser ihr verbieten möchte Schauspielerin zu werden, um in die Fußstapfen ihrer getrennt von der Familie lebenden Mutter zu treten. Am Rande erfährt der Zuschauer, dass diese am Anklamer Theater spielt – jener Bühne, die als »Strafkolonie am Ende der Welt« unter Leitung von Frank Castorf in den 1980er Jahren über die DDR hinaus Bekanntheit erlangte.
VORSPIEL ist eine Hommage an Kino und Theater als Orte der Sehnsucht, an Träume und Erinnerungen. Regelmäßig treffen sich die Jugendlichen im örtlichen Filmtheater und sehen eine DEFA-Retrospektive mit Filmen aus den 1950er Jahren wie BERLIN – ECKE SCHÖNHAUSER… (Gerhard Klein, 1957) und MEINE FRAU MACHT MUSIK (Hans Heinrich, 1958). An anderer Stelle ertönt während einer Theaterprobe in einem sonst nicht mehr benutzten Raum des Kinos aus dem Hintergrund Karl-Ernst Sasses Filmmusik zu DER SCOUT (Dshamjangijn Buntar & Konrad Petzold, 1982). Barbara Cantow verweist in ihrem Artikel in »Beiträge zur Film- und Fernsehwissenschaft« (Jg. 30, Bd. 36) darauf, dass Kahane stark von François Truffauts Antoine-Doinel-Zyklus mit Jean-Pierre Léaud in der Hauptrolle beeinflusst worden sein muss. Die Konfrontationsszene zwischen Tom und Major erinnert sie an den Hollywood-Klassiker …DENN SIE WISSEN NICHT, WAS SIE TUN (Nicholas Ray, 1955).
Gedreht wurde VORSPIEL überwiegend in Schönebeck an der Elbe im damaligen Bezirk Magdeburg. Die Dreharbeiten begannen am 11. November 1986 und endeten am 9. Februar 1987. Im Berliner Kino Kosmos feierte die Produktion am 5. November 1987 Premiere. Für Regisseur Peter Kahane (* 1949) war es nach seinem halblangen Debütfilm WEIBERWIRTSCHAFT (1983) und ETE UND ALI (1984) der dritte Spielfilm. Das Drehbuch schrieb Kahane gemeinsam mit dem Autor Thomas Knauf. 1990 kommt es für Kahanes letztes DEFA-Filmprojekt DIE ARCHITEKTEN zu einer weiteren Zusammenarbeit zwischen den beiden. Die Arbeit von Andreas Köfer, der bei allen DEFA-Spielfilmen Kahanes die Kamera führte, fand in zeitgenössischen Kritiken besondere Beachtung: »Das Klima des Films wird entscheidender als gewöhnlich mitbestimmt von der Kamera«, urteilte Jutta Voigt in der Wochenzeitung »Sonntag« vom 22. November 1987. Ute Semkat schwärmte in der »Magdeburger Volksstimme« davon, »wie Kameramann Andreas Köfer (…) Schönebeck im blauen Abenddämmern geradezu verzauberte«. 1988 wird VORSPIEL auf dem Filmfestival Max Ophüls Preis in Saarbrücken mit dem Preis des Oberbürgermeisters ausgezeichnet.
Viel Lob erhielten auch die jungen Darsteller. Hendrik Duryn, der zuvor bereits in einer kleinen Rolle im DEFA-Kriminalfilm VERNEHMUNG DER ZEUGEN (Gunther Scholz, 1987) zu sehen war, spielt hier seine erste Hauptrolle und beginnt im Anschluss ein Studium an der Leipziger Theaterhochschule »Hans Otto«. Duryn ist heute insbesondere für die Titelrolle in der RTL-Serie DER LEHRER bekannt. Auch Susanne Hoss und Ahmad Mesgarha debütieren in VORSPIEL und ergreifen später den Schauspielerberuf. Antje Straßburger trat bereits drei Jahre zuvor im DDR-Fernsehen in der Märchenverfilmung DIE GESCHICHTE VOM GOLDENEN TALER (Bodo Fürneisen, 1985) auf. Sie gewinnt Darstellerpreise auf dem Kinderfilmfestival Goldener Spatz und den Bronzenen Lorbeer des DFF. In Nebenrollen agieren bekannte DEFA-Schauspieler wie Hermann Beyer, Karin Schröder und Arianne Borbach.
Mit Liebe zum Detail verantwortete Tamás Kahane, der damals erst 19-jährige Sohn des Regisseurs, die Filmmusik: So erklingt beispielsweise Inka Bauses populäres Debüt »Spielverderber«, als die Jugendlichen von einem Türsteher abgewiesen werden. Tamás Kahane singt auch den vom Gefühl der Sehnsucht handelnden Titelsong, dessen Text von Alfred Rösler stammt:
Einmal kommt der Himmel runter, wie ein blauer Stein.
Einmal schlägt ein rundes Wunder auf der Kreuzung ein.
Und rollt die Stadt ans Meer, wir treiben hinterher.
Nur einmal hin, ein kleines Stück und zurück.
Einmal unterm Segel liegen, aber nicht allein.
Einmal mit den Armen fliegen – way up to the sky.
TANZ AUF DER KIPPE
DEFA Studio Babelsberg GmbH, Gruppe »Johannisthal«, 1991
Regie und Drehbuch: Jürgen Brauer
Szenarium: Jurij Koch
Literarische Vorlage: Roman »Augenoperation« von Jurij Koch
Kamera: Jürgen Brauer
Schnitt: Erika Lehmphul
Ton: Wolfgang Höfer, Axel Martin-Andersen
Musik: Ralf Hoyer
Dramaturgie: Andreas Scheinert
Produktion: Horst Hartwig
Darsteller: Dagmar Manzel, Frank Stieren, Winfried Glatzeder, Eberhard Kirchberg, Christa Pasemann, Peter Prager, Sylvia Burza, MR Dr. Dirkpeter Schulze, Elisabeth Richter, Peter Bause u.a.
DEFA-Fotograf: Waltraut Pathenheimer
DEFA Studio Babelsberg GmbH 1991 © DEFA-Stiftung. All rights reserved.
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Tanz auf der Kippe
Philip Zengel (März 2020)
7. Oktober 1989. Der 17-jährige Schüler Gerat wird auf einer Müllkippe überfallen und sein Gesicht in eine ätzende Lauge gedrückt. Er erblindet. Parallel laufen die Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der DDR über die Fernsehbildschirme. In Rückblenden erfährt der Zuschauer die Hintergründe, die zum Überfall führten. TANZ AUF DER KIPPE erzählt von einem Jungen, der mit den Bedingungen der Zeit nicht zurechtkommt. Gerat möchte sich nicht an gesellschaftliche Normen anpassen, will stets die Wahrheit sagen und erträgt Ungerechtigkeiten nur schwer. Mit Elan und Überzeugung singt er den Blue-Jeans-Song des Edgar Wibeau aus Ulrich Plenzdorfs Theaterstück »Die neuen Leiden des jungen W.«. Gerat handelt ohne Rücksicht auf mögliche persönliche Konsequenzen und stößt mit seinem Verhalten andere vor den Kopf. Verstanden fühlt er sich nur von seiner Lehrerin Claudia, in die er sich verliebt.
Regisseur Jürgen Brauer (*1938) bedient sich in TANZ AUF DER KIPPE einer metaphorischen und symbolhaften Bildsprache. Besonders in Erinnerung bleibt die titelgebende Szene, in der Gerat und Claudia zu den Klängen des Songs I Want Two Wings der international bekannten Gospelgruppe Golden Gate Quartett über die Müllkippe tanzen, nachdem sie das DDR-Nachrichtenprogramm stumm geschaltet haben. I want two wings to veil my face. I want two wings to veil my feet. I want two wings to fly away, and the world can’t do me no harm.
TANZ AUF DER KIPPE entstand nach dem Roman »Augenoperation« des Schriftstellers Jurij Koch. Bereits 1989 verfilmte Jürgen Brauer mit SEHNSUCHT eine Novelle des sorbischen Autors. Brauer ist ab Mitte der 1960er-Jahre gefragter Kameramann bei der DEFA und verantwortet in dieser Funktion mehrere Filme von Heiner Carow, Günter Reisch und Horst Seemann. 1980 realisiert er mit der Adaption des Alfred-Wellm-Romans PUGOWITZA sein Debüt als Regisseur. Zusammen mit Günther Rücker inszeniert er mit HILDE, DAS DIENSTMÄDCHEN (1986) einen weiteren historischen Stoff. Mehrfach dreht Brauer Filme, die sich insbesondere an ein junges Publikum richten, darunter das Märchen GRITTA VON RATTENZUHAUSBEIUNS (1984) und die Adaption des Benno-Pludra-Buches DAS HERZ DES PIRATEN (1987). Sein letztes DEFA-Projekt ist die Co-Produktion ANNA ANNA (1993), die er in Co-Regie mit der schweizerischen Regisseurin Greti Kläy verwirklicht.
Brauer erinnert sich in einem Zeitzeugengespräch mit der DEFA-Stiftung, dass das Drehbuch von TANZ AUF DER KIPPE ein Jahr vor der Wende nicht zur Verfilmung freigegeben wurde. Erst nach dem Mauerfall kann das Projekt realisiert werden. Die Einbindung der politischen Ereignisse der Vorwendezeit in das Skript erfolgt nachträglich. Gedreht wird zwischen dem 24. Juli und 30. September 1990. Am 16. Februar 1991 feiert TANZ AUF DER KIPPE auf den Internationalen Filmfestspielen Berlin seine Uraufführung und eröffnet die Sektion Panorama. Die Kritikermeinungen reichen weit auseinander. Während Frank-Burkhard Habel im »Filmklub-Kurier« der Produktion auch Chancen im Wettbewerb des Festivals zugebilligt hätte, beginnt Henryk Goldberg im »Neuen Deutschland« seine Filmbesprechung mit den Worten: »Ich sage es nicht so gern, aber dieser Film interessiert mich nicht.« Goldberg verdeutlicht mit diesem Einstieg, warum TANZ AUF DER KIPPE – und vielen weiteren DEFA-Wendefilmen – seinerzeit nur eine kleine Kinoauswertung beschieden war: Die Stoffe konnten mit den tagesaktuellen Entwicklungen nicht mithalten, büßten an Schlagkraft ein und trafen nicht mehr den Nerv des Publikums. Heute zählt TANZ AUF DER KIPPE zu den spannendsten filmischen Dokumenten der Umbruchszeit, beschreibt die Chancen und Risiken des Wechselspiels zwischen »alten« Stoffen und neuen Freiheiten.
Frank Stieren feiert mit der Rolle des Gerat noch vor Beendigung des Schauspielstudiums sein Filmdebüt. Kurz darauf folgt ein weiteres Engagement in Andreas Kleinerts Spielfilm VERLORENE LANDSCHAFT (1992). Später ist Stieren in zahlreichen deutschen Fernsehfilmen und -serien zu sehen, u.a. an der Seite von Barbara Rudnik und Alexandra Maria Lara. Dagmar Manzel ist zum Zeitpunkt der Dreharbeiten von TANZ AUF DER KIPPE bereits eine etablierte Theaterschauspielerin, die am Deutschen Theater in Berlin Erfolge feiert. Bei der DEFA übernimmt sie Hauptrollen in den Heiner-Carow-Filmen SO VIELE TRÄUME (1986) und COMING OUT (1989). Mit zahlreichen Auftritten in Kino- und Fernsehproduktionen sowie als Musical- und Operettensängerin und in Liederabenden an der Komischen Oper Berlin zählt sie zu den gefragtesten deutschen Schauspielerinnen. Lob findet in den zeitgenössischen Kritiken auch die Darstellung des Vaters durch Winfried Glatzeder. Nach seiner Ausbürgerung in die BRD 1982 wirkt Glatzeder erstmals wieder in einer DEFA-Produktion mit. In der Rolle des Augenmediziners ist der renommierte Arzt Dirkpeter Schulze zu sehen, der 26 Jahre als Chefarzt an der Potsdamer Augenklinik arbeitete. Das heutige »Ernst von Bergmann Klinikum« ist auch Drehort vieler Szenen von TANZ AUF DER KIPPE.
VERBOTENE LIEBE
DEFA-Studio für Spielfilme, Gruppe »Berlin«, 1989
Regie, Drehbuch und Szenarium: Helmut Dziuba
Literarische Vorlage: Erzählung »Der Sündenfall« von Helmut H. Schulz
Kamera: Helmut Bergmann
Schnitt: Monika Schindler
Ton: Klaus Tolstorf
Musik: Christian Steyer
Dramaturgie: Peter Jakubeit
Produktion: Uwe Kraft
Darsteller: Julia Brendler, Hans-Peter Dahm, Gudrun Ritter, Heide Kipp, Peter Sodann, Karin Gregorek, Rolf Dietrich, Dietrich Körner, Gert Gütschow, Bärbel Röhl u.a.
DEFA-Fotograf: Herbert Kroiss
DEFA-Studio für Spielfilme 1989 © DEFA-Stiftung. All rights reserved.
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Verbotene Liebe
Philip Zengel (März 2020)
Georg ist 18 Jahre alt, auf dem Land aufgewachsen und ein Musterschüler, dessen Wechsel an die Erweiterte Oberschule mit angegliedertem Internat in der Großstadt längst vorprogrammiert war. Doch nun steht er vor Gericht; angeklagt wegen sexuellen Missbrauchs einer Minderjährigen. Rückblickend zeigt der Film die Liebesgeschichte zwischen dem 18-jährigen und der 13-jährigen Barbara, die sich schon von klein auf kennen. Erzählt wird von den ersten Annäherungen, der ablehnenden Haltung der Elternhäuser, den Anfeindungen der Nachbarskinder sowie der Macht- und Hilflosigkeit der Lehrer. Die laut Gesetz verbotene Liebe der beiden Hauptfiguren scheint jedoch stärker als alle äußeren Widerstände.
VERBOTENE LIEBE bedient sich des shakespeareschen Romeo-und-Julia-Motivs und verlegt die Handlung in die Gesellschaft der DDR. In vielen kleinen Momenten gewährt die Produktion authentische Einblicke in das Familienleben der 1980er Jahre: Im heimischen Wohnzimmer ertönt nach Anschalten des Fernsehgeräts die Titelmelodie der US-amerikanischen TV-Serie Dallas, die ausschließlich im »Westfernsehen« zu sehen war; gegessen wird von Geschirr mit Zwiebelmustern und zu den Jugendweihefeierlichkeiten kommt die ganze Großfamilie zusammen. Generations- und Interessenkonflikte legt der Film schonungslos offen. Die Jugendlichen agieren opportun, unvorsichtig und dem Herzen folgend. Im Fall der Nachbarskinder bisweilen auch brutal und gefühllos.
Regisseur Helmut Dziuba (1933–2012) verfasste auch das Drehbuch und griff dabei auf Motive der Erzählung »Der Sündenfall« des Schriftstellers Helmut H. Schulz zurück. Die Verfilmung des Stoffes wurde bei der DEFA mehrere Jahre diskutiert und hinausgezögert. Die Dreharbeiten konnten erst 1989 beginnen. Gedreht wird zwischen dem 14. Juni und dem 1. September u.a. in der Polytechnischen Oberschule Ho Chi Minh (heutige Grundschule) in Berlin-Friedrichshagen. Weitere Aufnahmen entstehen im Oderbruch, in der brandenburgischen Ortschaft Genschmar und in Seelow. Premiere feiert VERBOTENE LIEBE erst nach dem Mauerfall am 19. April 1990 im Berliner Kino International. Das im Film verwendete einprägsame Lied »Er und sie« komponierte der Musiker Lutz Gerlach. Interpretiert wird der Song von der Sängerin Jacqueline Jacob, die 1986 bereits in Heiner Carows SO VIELE TRÄUME zu sehen war. Die Filmmusik verantwortete der aus zahlreichen Filmrollen bekannte Christian Steyer. Seit DER UNTERGANG DER EMMA (1973) komponierte Steyer fast ausnahmslos für alle Helmut-Dziuba-Produktionen.
Julia Brendler gibt in der Rolle der Barbara im Alter von 14 Jahren ihr Leinwanddebüt. Dziuba, der sich vom Talent der jungen Darstellerin begeistert zeigte, besetzt sie dann in seinem letzten DEFA-Film JANA UND JAN (1991) ein weiteres Mal in einer tragenden Rolle. Brendler kann sich anschließend als Schauspielerin etablieren und ist bis heute in vielen deutschsprachigen Kino- und Fernsehproduktionen zu sehen. Für Hans-Peter Dahm, der den Georg spielt, bleibt es die einzige Filmrolle. An der Seite der jugendlichen Protagonisten agieren bekannte Schauspieler wie Dietrich Körner, Heide Kipp, Peter Sodann und Karin Gregorek. Große Beachtung findet Gudrun Ritters Darstellung der Lehrerin. Filmkritikerin Renate Holland-Moritz lobt die Figurenzeichnung im Eulenspiegel »als Prototyp des gar nicht so selten guten DDR-Lehrers«. 1990 erhält Ritter auf dem letzten Nationalen Spielfilmfestival der DDR in Berlin den Preis für die beste weibliche Nebenrolle. Die heute als Politikerin bekannte Manuela Schwesig spielt – noch unter ihrem Mädchennamen Manuela Frenzel – einen kleinen Part als »Rivalin«.
Helmut Dziuba lernte sein Handwerk an der Moskauer Filmhochschule WGIK bei den Regielegenden Sergej Gerassimow und Michail Romm. Nach dem Studium kehrte er in die DDR zurück und übernahm 1963 eine Regie-Assistenz bei Frank Beyers KARBID UND SAUERAMPFER. Zischen 1968 und 1991 realisierte Dziuba im DEFA-Spielfilmstudio elf eigene Filme, die sich vornehmlich an ein junges Publikum richten. Mohr und die Raben von London, eine Adaption des gleichnamigen Jugendbuchs von Ilse und Vilmos Korn, wird 1968 sein erstes eigenes Spielfilmprojekt. In seinen retrospektiv als »proletarische Trilogie« bezeichneten Filmen ROTSCHLIPSE (1977), ALS UNKU EDES FREUNDIN (1980) und JAN AUF DER ZILLE (1985) widmet er sich Kinderschicksalen in der Weimarer Republik und den frühen Jahren des NS-Regimes. Vielfach greift er auch alltägliche Probleme von Kindern und Jugendlichen in der DDR auf. Mit SABINE KLEIST, 7 JAHRE… (1982) gelingt ihm ein internationaler Erfolg. Gesellschaftskritische Stoffe wie ERSCHEINEN PFLICHT (1983) bringen Dziuba jedoch auch Probleme mit dogmatischen Parteifunktionären. Dieser Film, in dem sich ein Mädchen kritisch mit der politischen Funktion ihres verstorbenen Vaters in der DDR auseinandersetzt, darf nur begrenzt ausgewertet werden; in manchen DDR-Bezirken wird seine Aufführung gänzlich untersagt. Nach dem Ende der DEFA gelingt es Dziuba nicht, seine Regiekarriere fortzusetzen. Mehrere Versuche, Stoffe ins Gespräch zu bringen, scheitern am Desinteresse der Produzenten und der Filmförderer. Ein letzter großer Erfolg wird Bernd Sahlings BLINDGÄNGER (2004), für den Dziuba das Drehbuch verfasst und der mit dem Deutschen Filmpreis prämiert wird.
BANALE TAGE
DEFA Studio Babelsberg GmbH, Gruppe »DaDaeR«, 1990
Regie: Peter Welz
Szenarium: Michael Sollorz
Literarische Vorlage: Erzählung »Banale Tage« von Michael Sollorz
Kamera: Michael Schaufert
Schnitt: Rita Hiller
Ton: Jürgen Mathuschek, Werner Schulze, Brigitte Pradel
Musik: Bert Wrede
Dramaturgie: Timothy Grossmann
Produktion: Ralph Retzlaff
Darsteller: Florian Lukas, Christian Kuchenbuch, Kurt Naumann, Karin Mikityla, Bärbel Bolle, Erns-Georg Schwill, Jörg Panknin, Astrid Meyerfeldt, Simone Walter, Anita Herbst u.a.
DEFA-Fotograf: Herbert Kroiss
DEFA Studio Babelsberg GmbH 1990 © DEFA-Stiftung. All rights reserved.
FFA-Förderprogramm Filmerbe (Förderung Digitalisierung)
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BANALE TAGE
Philip Zengel (März 2020)
Ost-Berliner Jugend in den späten 1970er-Jahren. Der Schüler Michael und der Werkzeuglehrling Thomas werden trotz unterschiedlicher sozialer Herkunft Freunde. Sie eint der Drang aus der Banalität des Alltags auszubrechen. Sie wehren sich gegen Bevormundung, das Gefühl der Nutzlosigkeit und die Verschwendung ihrer Lebenszeit. Sie wollen sich erproben und eigene Träume verwirklichen.
BANALE TAGE basiert auf der gleichnamigen literarischen Vorlage des Schriftstellers Michael Sollorz. Das Buch soll im Herbst 1990 veröffentlicht werden, wozu es in der unwägbaren Wendezeit allerdings nicht kommt. Aufgespürt und für eine Verfilmung vorgeschlagen wird der Stoff durch den DEFA-Dramaturgen Timothy Grossmann. Regisseur Peter Welz orientiert sich in seiner surrealistischen Inszenierungsästhetik am Stil Frank Castorfs, der zu seinen künstlerischen Vorbildern zählt. Zwischen dem 23. Juni und dem 31. August 1990 wird in Berlin gedreht. Prominentester Drehort ist die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz.
Bereits Ende Januar 1991 gewinnt BANALE TAGE auf dem Filmfestival Max-Ophüls-Preis in Saarbrücken den Preis der Interfilm-Jury. Im Februar 1991 läuft der Film auf der Berlinale. Ein kleiner, allerdings kaum beachteter Kinostart gelingt erst im Januar 1992. Die Probleme der DDR-Jugend in den späten 1970er-Jahren wecken beim Publikum kurz nach dem Mauerfall kein großes Interesse mehr. Reinhild Steingröver kommt in ihrer Publikation Spätvorstellung. Die chancenlose Generation der DEFA (2016) zu dem Schluss: »Aus Perspektive eines Vierteljahrhunderts später ist BANALE TAGE ein wertvolles filmhistorisches Kunstwerk in seiner formal eigensinnigen Parodie des bevormundenden Paternalismus gegenüber der jüngsten Generation in den letzten Jahren der DDR. Diese Erkenntnis, aus Sicht der Betroffenen in aller Komplexität reflektiert, fehlte in der Nachwendezeit, fehlt bis heute.«
Banale Tage entsteht in der Künstlerischen Arbeitsgruppe »DaDaeR«, die 1990 als »Nachwuchsgruppe« unter Leitung des Produzenten Thomas Wilkening ins Leben gerufen wird und der zehn Prozent der jährlichen staatlichen Subventionen ans DEFA-Spielfilmstudio als Etat zur Verfügung stehen. Die Gründung der Gruppe ist das Ergebnis einer jahrelangen Auseinandersetzung mit der heranwachsenden DEFA-Regiegeneration, die ihre Ideen im Produktionsplan des Spielfilmstudios nur unzureichend vertreten sieht. Neben Welz’ BANALE TAGE produziert die Gruppe, die eigenständig über ihre Projekte entscheiden darf, auch Jörg Foths Satire LETZTES AUS DER DaDaeR (1990) und Herwig Kippings Farce DAS LAND HINTER DEM REGENBOGEN (1990/91). Die drei Filme eint ihre künstlerische Innovation und ihre stilistische Unangepasstheit an tradierte Erzählweisen und Ästhetiken des DEFA-Films.
Das filmische Interesse des Regisseurs Peter Welz (* 1963) wurde bereits früh geweckt. 1975 spielt er die Hauptrolle in Heiner Carows Ikarus. In Ralf Kirstens Antikriegsfilm ICH ZWING DICH ZU LEBEN (1977) folgt eine weitere Hauptrolle. Nach der Schulzeit beginnt Welz ein Regiestudium in Babelsberg. Es entsteht u.a. der mehrfach preisgekrönte Kurzfilm WILLKOMMEN IN DER KANTINE (1988) nach einem Drehbuch von Frank Castorf. Unsere Familie, nach einer Vorlage von Leander Haußmann, wird 1989 sein Diplomfilm. Anders als viele Kollegen darf Welz mit BANALE TAGE bereits kurz nach Beendigung seines Studiums seinen ersten eigenen Spielfilm bei der DEFA verwirklichen. 1995 wird er mit BURNING LIFE über zwei Outsiderinnen auf der Flucht für den Bundesfilmpreis nominiert. Danach sind seine Ideen kaum mehr gefragt, die Finanzierung eines weiteren Kinoprojekts gelingt Welz nicht und er dreht vorwiegend für verschiedene Fernsehanstalten.
Florian Lukas feiert in der Rolle des Michael im Alter von 17 Jahren sein Filmdebüt. Er kann sich in den 1990er-Jahren als gefragter Schauspieler etablieren. Für sein Engagement in GOOD BYE, LENIN! gewinnt er 2003 den Deutschen Filmpreis für die beste männliche Nebenrolle. Christian Kuchenbuch, der den Thomas spielt, wird ein gefragter Theaterschauspieler. Auch andere junge Darsteller aus BANALE TAGE, dazu zählen u.a. Alexander Schubert, Sven Lehmann und RP Kahl, werden im wiedervereinigten Deutschland gefragte Filmschaffende. In Nebenrollen sind etablierte Film- und Theaterschauspieler der DDR zu sehen, darunter Bärbel Bolle, Ernst-Georg Schwill, Jörg Panknin, Peter Prager und Kurt Naumann. Einen Gastauftritt hat der kurz nach Ende der Dreharbeiten verstorbene Schriftsteller Ronald M. Schernikau, der noch zu Zeiten der geschlossenen Grenzen aus der Bundesrepublik in die DDR übergesiedelt war und von Freunden als »der letzte Kommunist« bezeichnet wurde. Als Bluesband tritt die populäre Musikgruppe Keimzeit auf.
Unter dem Motto »DEFA-Wendejugend« finden sich in der vorliegenden Edition sechs Filme, die nicht nur in authentischer Form Bilder einer verflossenen Gesellschaft vermitteln, sondern die unmittelbar dazu anregen, eigene Haltungen und Lebenssichten mit denen einer früheren Generation in Beziehung zu setzen.
Material
für die
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Vermittelt durch Filme ein verschwundenes Land entdecken
Von Klaus-Dieter Felsmann
Sich mit Geschichte zu beschäftigen heißt, Vorgänge der Vergangenheit zu deuten, ihrer zu gedenken und sich über den Charakter des zeitlichen Wandels klar zu werden. In der Konsequenz geht es dabei darum, sich Erkenntnisse über die Auswirkungen historischer Prozesse auf die eigene Gegenwart und darüber hinaus auf zukünftige Entwicklungen zu verschaffen.
Die Auseinandersetzung mit Geschichte findet dabei immer unter dem Blickwinkel eigener Lebenssichten statt. In der Folge können sich sehr unterschiedliche Perspektiven auf historische Abläufe ergeben. Oft lassen sich diese nur schwer vereinbaren. Wichtig ist aber gerade unter dem Aspekt eines gegenwärtigen gesellschaftlichen Gelingens, dass man konträre Auffassungen verstehen und einordnen kann. Dabei sollte idealerweise in der Diskussion bezüglich unterschiedlicher Interpretationen eine gemeinsame weiterreichende Einsicht gefunden werden.
Die DDR als Objekt vielfältiger Deutungen
Hinsichtlich der jüngeren deutschen Zeitgeschichte haben sich in den dreißig Jahren nach der Wiedervereinigung sehr unterschiedliche Interpretationen und Erzählungen gegenüber jenem gesellschaftlichen Konstrukt verfestigt, das zwischen 1949 und 1990 östlich der Elbe als eigenständiger Staat – DDR – existierte.
Der Verleger und Bürgerrechtler Klaus Wolfram meinte 2019 auf einer Veranstaltung der Berliner Akademie der Künste, das Problem sei, dass nach 1989 aus einer ostdeutschen Generaldebatte ein westdeutsches Selbstgespräch über Ostdeutsche geworden wäre. Das ist sicher eine zugespitzte Meinung, der man in der Absolutheit nicht zustimmen muss, doch sie macht sehr deutlich auf einen real vorhandenen Dissens aufmerksam. Das bestätigt auf andere Weise auch der Sozialwissenschaftler Thomas Ahbe, der bereits 2011 in einer in New York erschienenen Publikation herausgearbeitet hatte, dass in deutschen Medien DDR-Geschichte vorwiegend aus westdeutscher Perspektive beschrieben werde. Dadurch sei eine gesamte nach dem Mauerfall geborene Generation geprägt worden. Vielfach führt das für die Betroffenen zu Konflikten, weil Eltern und Großeltern mit ganz anderen Erzählungen aufwarten.
Konträre mediale Deutungen
2006 drehte Florian Henckel von Donnersmarck mit DAS LEBEN DER ANDEREN einen Film, in dessen Mittelpunkt ein Stasispitzel steht. Das war ein bemerkenswertes Drama über die Themen Verrat, Opportunismus und eine vormundschaftliche Gesellschaft. Weil aber der Westdeutsche Donnersmarck und ein Teil der Kritik meinten, damit hätten sie eine Blaupause für die DDR-Gesellschaft geschaffen, schlug ihnen von östlich sozialisierten Künstlern und Intellektuellen heftige Kritik entgegen. Man warf dem Film das Bedienen billigster Klischees vor. Im Gegensatz dazu erzählte der Ostdeutsche Leander Haußmann 1999 in SONNENALLEE detailgenau und auf komische Weise über eine DDR, in der zwar Schüsse an der Mauer und Stasispitzel gab, ansonsten das Leben aber ausgesprochen gemütlich schien. Der Film wurde von den einen als Verharmlosung der Diktatur gesehen, von der Mehrheit im Osten jedoch als Bestätigung dafür, dass ihr privater Alltag letztendlich doch nicht so dürftig war. Als verlässliche Quelle für konkrete historische Abläufe ist auch dieser Film nur bedingt tauglich. Beide Filme zeigen einen interessanten Blick auf die Geschichte. Gleichzeitig sind sie in erster Linie subjektive, vielleicht sogar interessengeleitete, rückblickende Interpretation.
Der Blick von innen
Filme sind sowohl Kunst und Unterhaltung als auch Ausdruck ihrer Zeit. So hat es der Filmsoziologe Siegfried Kracauer herausgearbeitet. Insofern erscheint es lohnenswert, wenn man unmittelbar etwas über eine Zeit wissen will, sich mit Filmen aus dieser Zeit zu beschäftigen. Hier gibt es zwar wie in jedem Kunstwerk auch eine Interpretation, doch die erfolgte durch Filmemacher, die selbst aus der Zeit heraus dachten, über die sie erzählen. Insofern sind nicht nur die Filme selbst Zeitdokument, sondern auch die Art und Weise, wie über die vormalige Gegenwart erzählt wird. Unter dem Motto »DEFA-Wendejugend« finden sich in der vorliegenden Edition sechs Filme, die nicht nur in authentischer Form Bilder einer verflossenen Gesellschaft vermitteln, sondern die unmittelbar dazu anregen, eigene Haltungen und Lebenssichten mit denen einer früheren Generation in Beziehung zu setzen. Welche Ideale und Träume werden formuliert, auf welche objektiven und subjektiven Widerstände stoßen diese und welche Konfliktlösungsmuster werden artikuliert. Inwiefern wirken die Fragen in die heutige Zeit hinein, wo sind sie veraltet, wo sind sie aktuell und wodurch unterscheiden sich gesellschaftliche Strukturen, wenn es darum geht, mit den Konflikten umzugehen?
Filmsehen als aktiver Vorgang
Der Pädagoge Adolf Reichwein, der 1944 von den Nationalsozialisten ermordet worden ist, war bereits in einer sehr frühen Phase der Filmgeschichte davon überzeugt, dass Filme eine hervorragende Anregung sein können, um junge Menschen zum Selbstdenken zu motivieren. Insofern sollten Inhalte nicht als fertige Mahlzeiten vorgesetzt werden, sondern als Impuls zum Mitdenken, Forschen und Vergleichen mit der eigenen Umwelt. Der Rezipient folgt nicht nur passiv den Bildern, sondern er interpretiert den Film symbolisch in Bezug auf seine Umwelt. Filme ergänzen das, was unmittelbar nicht erlebt werden kann. Sie bereichern insofern unser Wissen hinsichtlich anderer Kulturen genauso, wie gegenüber der Geschichte. Allerdings, so meint Reichwein, gehe es nicht zuerst darum, die Materie kognitiv zu durchdringen, sondern sie emotional zu erleben. Die vorliegenden Filme, in denen jeweils jugendliche Protagonisten im Mittelpunkt stehen, ermöglichen diesbezüglich gerade für Heranwachsende interessante Anknüpfungspunkte.
In allen Filmen der vorliegenden Edition stehen Jugendliche im Zentrum der Handlung. Sie repräsentieren somit eine Generation, die heute, dreißig Jahre später, zu den prägenden gesellschaftlichen Persönlichkeiten gehören.
Themenschwerpunkte für die Bildungsarbeit
Jugendzeit
In allen Filmen der vorliegenden Edition stehen Jugendliche im Zentrum der Handlung. Sie repräsentieren somit eine Generation, die heute, dreißig Jahre später, zu den prägenden gesellschaftlichen Persönlichkeiten gehören. Das belegen nicht nur viele der Schauspielerinnen und Schauspieler, die seinerzeit erstmals in diesen Spielfilmen auftraten, sondern das gilt für alle Lebensbereiche, ganz gleich in welcher Region Deutschlands.
Von daher bieten die Filme interessante Einblicke hinsichtlich der Ideale, der Probleme und der Lebensformen, durch die diese Jugendlichen sozialisiert wurden.
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Welche Ziele verfolgen die Protagonisten?
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Wie verlief die Suche nach Identität und Orientierung?
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Welche Widerstände galt es zu überwinden? Auf welchem Weg konnte das geschehen? Woran scheiterten Lebensträume?
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Welche Bildungschancen gab es? Worin bestanden berufliche Perspektiven?
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Wodurch zeichnen sich die sozialen Strukturen innerhalb der Jugendgruppen aus?
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Was erzählen die Filme über Generationskonflikte?
Die Spielfilme der DEFA konnten zwar nicht alle gesellschaftlichen Konfliktfelder aufgreifen, doch sie bemühten sich auf der Bildebene um eine große soziale Genauigkeit.
Lebensräume
Die Spielfilme der DEFA konnten zwar nicht alle gesellschaftlichen Konfliktfelder aufgreifen, doch sie bemühten sich auf der Bildebene um eine große soziale Genauigkeit. Das was der Zuschauer zu sehen bekam, sollte hinsichtlich der sozialen Genauigkeit als authentisch wahrgenommen werden. Mit Ausnahme von BANALE TAGE, wo es einen Rückblick in die 1970er Jahre gibt, zeichnen alle Filme DDR-Alltag zum Ende der 1980er Jahre.
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Welche Lebens- und Wohnverhältnisse zeigen die Filme?
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Welche Eindrücke vermitteln die Ansichten von Städten und Dörfern?
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Welche Rolle spielen Bildung und Kultur?
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Was wird hinsichtlich der Konsumwelt deutlich?
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Welchen Stellenwert nahm die Arbeit ein? Was wird über die Arbeitswelt vermittelt?
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Welche Vergnügungen und Genüsse waren den Menschen wichtig?
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Welch Sozialstrukturen werden in den Filmen deutlich?
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Wie verhält sich die Elterngeneration gegenüber staatlicher Bevormundung?
Die DDR verstand sich als ein Industriestaat.
Umwelt
Die DDR verstand sich als ein Industriestaat. Umweltprobleme wurden in diesem Kontext gern verdrängt. Von daher konnten solche Fragen auch erst in der Endzeit dieses Staates direkt in DEFA-Spielfilmen angesprochen werden.
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Wie zeigt sich in den Filmen der Widerspruch zwischen Produktion und Umwelt?
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Welche Motive haben die Jugendlichen, sich für die Umwelt einzusetzen?
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Welcher Symbolwert wird seltenen Tieren und insbesondere Bäumen zugeschrieben?
Bei den vorliegenden Jugendfilmen geht es naturgemäß um jeweils erste Erfahrungen einer intensiven Beziehung.
Liebe und Zärtlichkeit
Die Liebe ist ein zentrales Thema innerhalb der gesamten Filmgeschichte. So auch bei der DEFA. Bei den vorliegenden Jugendfilmen geht es naturgemäß um jeweils erste Erfahrungen einer intensiven Beziehung.
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Wie werden die Liebesbeziehungen in den Filmen motiviert und dargestellt?
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Wie verändern erste Liebeserfahrungen die Persönlichkeiten der Protagonisten?
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Welche Voraussetzungen werden für Erfüllung oder Scheitern von Liebe deutlich?
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Die Filme gehen unbefangen mit der Darstellung von Nacktheit um. Welche Funktion hat dies innerhalb der Filmgeschichten?
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Wodurch ist der Wandel begründet, dass es in heutigen Jugendfilmen kaum noch Nacktheit gibt?
Erwachsenwerden spielt in allen Filmen der Edition eine zentrale Rolle.
Fernweh und Nähe
Erwachsenwerden hat mit Aufbruch zu tun. Dieses Thema spielt in allen Filmen der Edition eine zentrale Rolle.
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Wodurch wird Aufbruchssehnsucht in den Filmen motiviert?
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Worin zeigt sich, dass Fernweh in der DDR nur eingeschränkt Erfüllung finden konnte?
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Wie steht in den Filmen der Aufbruchswillen mit der Vorstellung von Heimat in Beziehung? Was heißt diesbezüglich »Wurzelsuche«?
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